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Die Mädchen im Schutzhaus halten zusammen.
Die Mädchen im Schutzhaus halten zusammen. © Plan / Marc Tornow
28.03.2017 - von Marc Tornow

Vergangenheitsbewältigung in den Anden

Sie heißen Maria, Ana und Celina, sind zwölf bis 16 Jahre alt – und Mütter. Die Mädchen im Schutzhaus von Tarija teilen ein schreckliches Schicksal.

 

Die Anden-Kordilleren zur einen Seite, das üppig grüne Valle de Concepción zur anderen – Tarija im Süden Boliviens liegt traumhaft schön.


Die Gegend ist berühmt für ihre Weine und farbenfrohen Karnevalsumzüge. Bei so viel Lebenslust lässt sich nur schwer ausmalen, welche Schicksalsschläge die 17 Mädchen hinter sich haben, die derzeit im „Centro Vida Dignidad“ Schutz finden.

„Würdiges Leben“ nennt sich das Mädchen-Schutzhaus in einem Vorort der Provinzhauptstadt. Von der breiten Ausfallstraße zum Flughafen geht es irgendwann nach links, einen staubigen Weg entlang – die genaue Adresse gibt es nicht, damit keine ungebetenen Gäste kommen. Ungebeten wären vor allem Besuche von den Vätern, Onkeln oder Cousins der hier lebenden Mädchen. Denn diese sind ihre Peiniger, Sexualstraftäter und in fünf Fällen auch die Väter der ebenfalls im Schutzhaus untergebrachten Kleinkinder.

Die Heimleiterin Marlene Fernandez u nd zwei Erzieherinnen kümmern sich um das Wohl der Mädchen. Es gibt Kurse zur Traumabewältigung und handfeste berufsbildende Maßnahmen. Das fördert neben den regulären Schulbesuchen die Zukunftschancen der Kinder.

Mit Spendengeldern aus Deutschland konnte eine professionelle Küche mit Öfen eingerichtet werden. Die Mädchen perfektionieren hier ihre Backkünste, beliefern eine nahegelegene Schule mit frischem Brot, verdienen sich so ein kleines Taschengeld – und tragen auch zum Unterhalt des Hauses bei.

„Die bolivianische Regierung zahlt pro Mädchen und Tag 4 Bolivianos (45 Cent)“, berichtet Margali Vargas. „Davon allein könnten wir niemals diese Einrichtung finanzieren.“ Sexuelle Übergriffe in der Familie gelten als Tabuthema und finden in Bolivien kaum öffentliches Gehör.

Die Fürsprache der Erzieherinnen ist also umso wichtiger. Sie unterstützen ihre Schützlinge auch dabei, gerichtlich gegen ihre Vergewaltiger vorzugehen. „Das ist umso schmerzlicher, da es sich meistens um nahe Angehörige handelt“, erklärt Marlene Fernandez. In 20 Fällen hatten die Frauen Erfolg und die Taten wurden gesühnt: Gefängnisstrafen von bis zu 30 Jahren.

Die Mädchen planen unterdessen den Ausbau eines Hausgartens. Sie wollen Nutzpflanzen anbauen und sich selbstständiger machen. „In mir schlummern noch sehr viel mehr Fähigkeiten, die ich ausprobieren will“, sagt Michelle (16), die erst vor zwei Monaten ins Schutzhaus kam und nun einen der drei Schlafsäle ihre neue Heimat nennt. Sie bieten Ruhe und Abstand von den Erlebnissen der Vergangenheit, irgendwo da draußen in Tarija. Eine Vergangenheit, die Michelle inzwischen fern und gänzlich unwahrscheinlich vorkommt.