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Hier spricht Raylina mit Angela Singh, Pressereferentin des IH ©Miguel Vargas/Plan
28.07.2015 - von Janina Schümann

„Gewalt war ein normaler Teil unseres Alltags“

Ein Erfahrungsbericht der 34-jährigen Raylina Pudez Dudly aus Nicaragua über die Normalität der Gewalt in ihrer Gemeinde.

 

„Gewalt ist alltäglich in unserer Gemeinde.


Ich verhielt mich früher auch aggressiv und war meinen Kindern und anderen, die mir zu nah kamen, gegenüber gewalttätig. Ich war kein guter Mensch, aber ich kannte nichts anderes. Gewalt war ein normaler Teil unseres Alltags.

Doch als Plan International Nicaragua mit seinen Partnerorganisationen in unsere Gemeinde kamen, habe ich realisiert, dass mein Verhalten nicht normal war und das Gewalt keine Lösung ist.

Es wurden Schulungseinheiten und Workshops zum Themen, wie häusliche und sexuelle Gewalt verhindert werden kann oder Drogenprävention durchgeführt. Während dieser Schulungen lernte ich, wie Gewalt gemessen werden kann. Als ich dieses mit meinem Verhalten verglich, wurde mir klar, wie eskalierend meine Gewalt war. Ich bin mir sicher: Hätte ich nicht an diesen Sitzungen teilgenommen, wäre dieses Problem viel schlimmer geworden.

Ich bin jetzt ein Teil des Nachbarschafts-Präventions-Kommitees für häusliche Gewalt. Wenn ich mitbekomme, dass Gewalt stattfindet, besuche ich die Familien und berate sie. Es gibt nicht mehr so viele Fälle wie in der Vergangenheit, aber sie sind immer noch da.

Drogen- und Alkoholmissbrauch grassiert und Plan International Nicaragua arbeitet hart daran, das zu bekämpfen. Doch das Leben hier ist immer noch ein Kampf. Es leben  acht Menschen in diesem kleinen Haus. Jeden Tag stehen wir um 4 Uhr auf. Die Frauen bereiten das Frühstück und die Männer arbeiten auf dem Feld, während die Kinder in der Schule sind. In der Vergangenheit blieben die Frauen im Haus und kümmerten sich um den Haushalt, doch durch diese Schulungen konnten wir das Haus verlassen.

Es ist schwer, sich etwas in dieser Gemeinde aufzubauen. Wir bauen Bohnen, Reis, Kochbananen, Maniok und Bananen an, um etwas zu essen zu haben, aber es ist sehr wetterabhängig. Auch die Grundbedürfnisse sind schwer zu erfüllen. Wir haben zwar Strom, aber wir haben kein fließendes Wasser und es bleibt an mir oder meinen älteren Kindern hängen, Wasser aus dem Brunnen zu holen. Die Außendusche wird ausschließlich von den Mädchen benutzt, während die Jungen im Fluss ein Bad nehmen müssen.

Die medizinische Versorgung ist ebenfalls ein Problem. Wenn meine Familie krank wird, gehen wir in die lokale Klinik der Gemeinde. Die Klinik ist für kleinere medizinische Probleme in Ordnung, aber wenn wir an schweren medizinischen Problemen leiden, müssen wir nach Puerto Cabezas reisen. Dies bereitet uns immer Sorge, da das Reisen in die Stadt sehr teuer ist. Es werden mindestens 3.000 Cordoba (USD $110) für die Reise benötigt und die Straßen sind holprig und lang. Hinzu kommt, dass Geld für Mahlzeiten, Medizin - welche nicht immer in der Klinik verfügbar ist  - und für die Unterkunft benötigt wird. Es ist schon schwer genug, 100 Cordoba (USD $ 4) zu verdienen, also kann man sich vorstellen, wie schwierig es ist auf 3.000 Cordoba zu kommen.

Viele Menschen sind gestorben, weil sie es sich im Krankheitsfall nicht leisten konnten, in die Stadt zu fahren. Ich habe vier Kinder und jedes Mal, wenn ich schwanger wurde, musste ich anfangen zu sparen, damit ich mein Baby sicher ins Krankenhaus bringen konnte. Wenn Frauen nicht in der Lage waren, genug Geld zu sparen, musste die Geburt zu Hause stattfinden. Ich habe auch eine Geburt zu Hause durchgeführt. Mir halfen die Gemeindeschwestern, aber sie sind nicht ausreichend qualifiziert - es fehlt an ausgebildeten Hebammen.

Ich bete jeden Abend für meine Kinder. Ich bete dafür, dass sie nicht die gleichen Nöte durchleben müssen wie ich. Ich hoffe, dass alle meiner vier Kinder etwas aus ihrem Leben machen und eine bessere Lebensqualität genießen werden.“