
Wenn Schweigen in starke Stimmen umschwenkt
Wenn man Vicencia heute erlebt, fällt ihr selbstbewusstes Auftreten sofort auf. Die 14-Jährige spricht klar, hört aufmerksam zu und übernimmt Verantwortung. Doch noch vor wenigen Jahren wirkte sie ganz anders. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf im Departement Ouémé in Benin, war sie ein zurückhaltendes Kind. In der Schule meldete sie sich kaum, mit Gleichaltrigen sprach sie selten.
Ihre Schüchternheit entwickelte sich zu einer Last. Gespräche mit den Lehrkräften blieben aus, Fragen im Unterricht beantwortete sie nicht. Mit der Zeit zog sie sich immer stärker zurück, fühlte sich ausgeschlossen und erlitt Stimmungsschwankungen. Auch ihre Familie konnte sie nicht erreichen. „Wir haben versucht, sie zu unterstützen, aber sie wirkte wie eingesperrt in sich selbst“, erzählt ihre Mutter.
„Ich war oft allein und wusste nicht, wie ich mit anderen Kindern in meinem Alter kommunizieren sollte.“
Ein Ort zum Wachsen
Die Wende kam, als in ihrer Gemeinde ein Kinderclub gegründet wurde – eine Initiative, die jungen Menschen Raum für Begegnung, Austausch und Mitsprache bietet. Plan International unterstützte den Kinderclub mit Trainingsmaterialien, Workshops und regelmäßiger Begleitung durch ausgebildete Betreuer:innen. Dabei standen die Jungen und Mädchen im Mittelpunkt: Sie entschieden mit, welche Themen besprochen wurden, organisierten Aktivitäten und lernten, sich einzubringen.
Bei den Treffen begegnete Vicencia anderen Mädchen und Jungen, die ähnliche Fragen beschäftigten: Wie gehe ich mit Druck in der Schule um? Welche Rechte habe ich? Wie kann ich in meiner Gemeinde etwas bewegen?
Vicencia begann, an Diskussionen teilzunehmen, Spiele anzuleiten und kleine Aufgaben zu übernehmen. Nach einigen Monaten spürte sie, dass ihre Meinung geschätzt wurde. Ihr Selbstwertgefühl wuchs, ebenso ihre Bereitschaft, Verantwortung zu tragen. Schließlich wählten die Mitglieder sie zur Präsidentin ihres Clubs. „Der Kinderclub war ein Wendepunkt für mich. Er hat mir geholfen, Fähigkeiten zu entwickeln und Selbstvertrauen zu finden, von denen ich nie wusste, dass ich sie hatte“, sagt sie stolz. Heute führt sie Gespräche mit Gleichaltrigen, organisiert Diskussionen zu Themen wie Bildung und Frühverheiratung und ist Ansprechpartnerin für andere Kinder, die sich schwertun, ihre Stimme zu erheben.


Herausforderungen für Kinder und Jugendliche in Benin
Vicencias Geschichte steht exemplarisch für viele junge Menschen in Benin. In dem westafrikanischen Land mit rund 13 Millionen Einwohner:innen grassiert noch immer die Armut – gerade in den ländlichen Regionen. Zwar hat sich das Bildungswesen in den vergangenen Jahren verbessert, doch vor allem Mädchen stehen weiterhin großen Ungleichheiten gegenüber.
Kinderehen sind nach wie vor verbreitet: Laut aktuellen Länderdaten (Stand: Mai 2025) werden knapp 30 Prozent der Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet. Viele müssen die Schule abbrechen, weil sie verheiratet werden oder Kinder bekommen. Der Zugang zu weiterführender Bildung bleibt besonders für Mädchen aus ländlichen Regionen erschwert. Hinzu kommen traditionelle Rollenmuster, die ihnen Mitsprache und Entscheidungsfreiheit im Alltag oft verwehren.
Auch die Gesundheitsversorgung ist lückenhaft. Mädchen und junge Frauen haben nur eingeschränkt Zugang zu Informationen über Sexual- und Reproduktionsgesundheit, was frühe Schwangerschaften begünstigt. Je jünger die Mutter bei der Geburt jedoch ist, umso mehr gesundheitliche Risiken können entstehen. Gleichzeitig fehlen jungen Menschen Möglichkeiten, ihre Talente zu entfalten und Verantwortung in ihrer Gemeinde zu übernehmen.

Räume für Selbstbestimmung
Kinderclubs wie der von Vicencia setzen hier an. Sie schaffen Räume, in denen Kinder und Jugendliche über ihre Rechte informiert werden und lernen, diese einzufordern. Themen wie Chancengleichheit, Kinderschutz, Bildung oder der Umgang mit Gewalt und Diskriminierung stehen auf der Agenda. Durch Rollenspiele, Diskussionen und Workshops entwickeln die Teilnehmer:innen Kommunikations- und Führungskompetenzen.
Besonders wichtig ist der generationenübergreifende Dialog: Kinder bringen ihre Sichtweisen ein, Erwachsene hören zu. Das stärkt nicht nur das Selbstvertrauen der jungen Menschen, sondern verändert auch das Bewusstsein in der Gemeinde. Mädchen wie Vicencia werden sichtbar – nicht als Empfängerinnen von Hilfe, sondern als aktive Gestalterinnen ihres Umfelds.
Die Geschichte von Vicencia wurde mit Material aus dem Plan-Büro in Benin aufgeschrieben.