Sauberes Wasser und der Geist von Nagekeo
Mythen und Geschichten über Geister – die hat es schon seit Generationen in abgelegenen Regionen von Indonesien gegeben. Daran dachte Mama Reta jedoch nicht, als eines Morgens ihre 14-jährige Tochter Eci nach Hause gelaufen kam: „Eci war unten am Fluss, um sich zu waschen und Wasser zu holen, aber sie kam sehr schnell zurück“, erinnert sich ihre 49-jährige Mutter. „Ich fragte sie, warum. Sie sagte, sie habe Angst gehabt, weil noch niemand sonst am Fluss war.“
Mama Reta überlegte: War dort etwas? Eine giftige Schlange im Unterholz? Oder etwas, das man spüren, aber nicht erklären konnte? Geistergeschichten werden schon seit Jahrhunderten in dem südostasiatischen Land weitergegeben. Viele Menschen glauben bis heute, dass jemand, der allein an den Fluss geht, sich verirren oder von unsichtbaren Wesen gefangen genommen werden könnte.
Tatsächlich ist hier im Bezirk Nagekeo im Osten von Indonesien der Weg zum Fluss zugewachsen und beherbergt Skorpione sowie giftige Schlangen. Das am meisten gefürchtete Gerücht ist jedoch das von Ata Dora, einer mysteriösen Gestalt, die angeblich diejenigen entführt, die allein unterwegs sind.
Ein Weg voller Skorpione und Schlangen
Mythen hin, Gerüchte her – die Dorfbewohner haben keine Wahl und müssen ihre Angst vor Gifttieren und Märchen überwinden. Tagtäglich laufen sie runter zum Fluss, um Wasser zu holen und sich zu waschen. Eine Routine, die Teil ihres Lebens geworden ist, obwohl der Fußweg gerade eben breit genug für eine Person ist. Er schlängelt sich entlang eines Hangs und an einigen Stellen ist der Boden rutschig. Ein Fehltritt könnte zu einem gefährlichen Sturz führen.
Die Menschen leben von einer einzigen Wasserquelle
Solange Mama Reta denken kann, sind die Menschen in ihrem Dorf auf sauberes Wasser aus einer einzigen versteckten Quelle angewiesen. Sie heißt Pela und entspringt an dem Fluss, der sich um ihr kleines Dorf schlängelt. Jeden Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, eilen die Kinder zum Fluss hinunter, um sich vor der Schule zu erfrischen. Währenddessen bereiten ihre Mütter zu Hause das Frühstück vor.
„Sobald die Kinder zur Schule gegangen sind, gehen wir Mütter zum Fluss, holen Wasser und waschen Wäsche. Die Männer gehen auf die Felder und füttern das Vieh“, erzählt Mama Reta über ihren Tagesablauf in der Provinz Ost-Nusa Tenggara. „Der Weg zum Fluss geht bergab, aber zurück geht es mit Wasser und gewaschener Wäsche bergauf.“
Obwohl sich auch ihre Väter am Wasserholen beteiligen, müssen Kinder wie Eci diese unvermeidliche Aufgabe täglich mittragen: „Wenn wir müde werden, halten wir an und ruhen uns aus, bevor wir weitergehen“, sagt die 14-Jährige. „Zu Hause angekommen, machen wir uns für die Schule fertig. Manchmal kommen wir zu spät. Dann werden wir bestraft und müssen knien.“
Auch an ihrer Schule ist Wasser eine wertvolle Ressource. Alle Kinder bringen etwas davon von zu Hause für den Tag mit – zum Händewaschen und Toilettenspülen. Die Mädchen und Jungen laufen mit einem Kanister zur Schule. Das ist für sie eine alltägliche Herausforderung, der sie sich stellen müssen. Und falls der Toilettentank leer ist, holen Lehrkräfte und Kinder gemeinsam neues Wasser – von ihrem Fluss, von der einen gemeinsamen Quelle.
Von Vätern und sauberem Wasser
Die Wasserversorgung ist seit langem ein Problem für die kleine Gemeinde, in der Eci lebt. Deren Dorfvorsteher Sevrin (32) war selbst noch ein Kind als dessen Vater und andere Männer im Jahr 2002 versuchten, ein Rohrleitungsnetz mit Wassertank zu bauen. Sie wollten das Wasser aus der Quelle bis an ihr Dorf heranführen. Doch ohne ordnungsgemäße Planung und Wartung waren diese Bemühungen erfolglos: „Unsere Leute haben die Rohre selbst verlegt, aber sie haben eine ineffiziente Strecke geschaffen. Das Wasser versiegte schnell“, erinnert sich Severin.
„Manchmal kommen wir zu spät und werden bestraft.“
Die Bemühungen von Plan International, das Dorf endlich direkt mit sauberem Wasser zu versorgen, waren ebenfalls nicht einfach. Trotz sorgfältiger Planung mit technischen Beratern und Wasserexperten gab es immer wieder technische Herausforderungen: „Das Schwierigste war, dass wir eine enorme Menge Strom benötigen, um das Wasser zum Dorf hinaufzupumpen“, erklärt Kosmin (48), Projektleiter von Plan International Indonesien.
Der Geist von der Pumpstation
Kaum war ein fehlendes Stromaggregat nachgerüstet worden, kam es zu Überschwemmungen durch die Regenzeit. Kies und Sand wurden in die Pumpe gespült, wodurch diese beschädigt wurde – was wiederum soziale Verwerfungen auslöste. Menschen aus der Gemeinde, die an mystische Phänomene und Geister glauben, zweifelten an dem Projekt. Die Beteiligung und Mitarbeit daran erlahmte und einige Leute wurden sogar apathisch. Irgendwann schickten frustrierte Dorfbewohner die Teams von Plan International fort. Doch die Fachleute gaben nicht auf, glaubten an den Erfolg des längst überfälligen Vorhabens und ergriffen Maßnahmen, um den Kooperationsgeist in der Gemeinschaft wiederzubeleben.
Mit einer Ersatzpumpe kommt der Wendepunkt
Mit einer Ersatzpumpe kommt der Wendepunkt: Endlich erreicht das Wasser aus der Pela-Quelle das Dorf. Die gesamte Gemeinde sieht zu, wie das neue leistungsstarke Aggregat eingeschaltet wird und das lebenswichtige Nass über ein ausgedehntes Rohrleitungsnetz zu fließen beginnt. Vorbei an dem schmalen Pfad voller giftiger Tiere, über den steilen Hügel bis hinauf zu den insgesamt 14 Wasserhähnen – eine neue Ära für das Dorf im Bezirk Nagekeo.
Die öffentlichen Brunnen, die über die gesamte Gemeinde verteilt sind, versorgen alle Haushalte mit sauberem Wasser. Jetzt beträgt die Entfernung von jedem Haus zum nächsten Wasserhahn maximal 20 Meter. Die Gemeinde hat mit Unterstützung von Plan International auch ein Gremium gegründet, das sich um die Wartung der Leitungssysteme kümmert.
„Jetzt helfe ich Mama und mache mich dann für die Schule fertig.“
An den Moment, auf den das Dorf lange gewartet hatte, erinnert sich auch Eci: „Wir holen kein Wasser mehr aus dem Fluss“, sagt sie zufrieden. „Jetzt helfe ich Mama morgens beim Kochen und mache mich dann für die Schule fertig. Ich komme nie zu spät, und die Lehrer verlangen nicht mehr, dass wir Wasser mit in die Schule bringen.“
Die Geschichte von Eci und ihrer Gemeinde wurde mit Material aus dem indonesischen Plan-Büro erstellt.