
Männlichkeit neu gedacht
Unter einem Mangobaum im Norden Ugandas diskutieren Jugendliche nicht über Fußball oder Musik, sondern über Menstruation, Hygiene und Chancengleichheit. Was früher ein Tabu war, wird heute offen angesprochen. Der 13-jährige Joshua und seine Mitschüler:innen entwerfen Plakate mit Botschaften wie „Binden wechseln“ oder „Unterwäsche waschen“. Für sie bedeutet das nicht nur neues Wissen, sondern auch ein neues Verständnis davon, was es heißt, ein Junge zu sein.
„Die Schülerinnen schämen sich nicht mehr, über Menstruation zu sprechen“, sagt Joshua und deutet auf ein Plakat, das er mit seiner Gruppe erstellt hat. Daneben Kreuze: „Kein Toilettenpapier als Ersatz“, „Keine schmutzige Kleidung“. Diese Plakataktionen auf dem Schulhof werden im Rahmen des Gesundheitsclubs veranstaltet – einem Programm unterstützt von Plan International, das Kindern und Jugendlichen Wissen über Menstruation, Sexualität und Persönlichkeitsrechte vermittelt.



Wenn die Periode zur Hürde wird
In Uganda verpassen etwa 30 Prozent der Mädchen während ihrer Menstruation regelmäßig den Unterricht. Gründe sind fehlende Hygieneprodukte, unzureichende Sanitäranlagen und die anhaltende Stigmatisierung. Manche Mädchen verlassen die Schule ganz – mit gravierenden Folgen: Ein Schulabbruch erhöht nicht nur das Risiko für Frühverheiratung und frühe Schwangerschaften, sondern beschränkt auch die Möglichkeiten der Mädchen, unabhängig zu werden und ein eigenes Einkommen zu erzielen. Frühzeitige Schwangerschaften führen oft zu sozialer und wirtschaftlicher Abhängigkeit von Partnern oder Familienmitgliedern und erschweren den Zugang zu weiterführender Bildung oder beruflichen Perspektiven.
„Früher blieb ich zu Hause, wenn ich meine Periode hatte“, erzählt die 15-jährige Rose, die ebenfalls am Club teilnimmt. „Jetzt weiß ich, dass ich nicht alleine bin. Und ich habe gelernt, wie ich selbst Binden herstellen kann.“
Rollenbilder unter Druck
Doch Bildungsgerechtigkeit hängt nicht nur von Mädchen ab, auch die Rolle von Jungen verändert sich. Uganda gehört zu den Ländern mit besonders jungen Bevölkerungen: Mehr als die Hälfte der Menschen ist unter 18 Jahre alt. Welche Vorstellungen von Geschlechterrollen in dieser Generation geprägt werden, hat unmittelbare Bedeutung für die Zukunft.
Traditionell gilt: Männer verdienen das Geld, Frauen kümmern sich um Haushalt und Kinder. „Doch diese Sichtweise verändert sich“, sagt Grace Ageno, Gender-Expertin bei Plan International Uganda. „Immer mehr Jungen und Männer stellen Fragen, übernehmen Verantwortung und hinterfragen, was früher selbstverständlich war.“
Solche Veränderungen haben spürbare Effekte. Studien zeigen, dass Familien, in denen Männer gleichberechtigt im Haushalt mitarbeiten, seltener von häuslicher Gewalt betroffen sind. Auch riskantes Verhalten wie Alkoholmissbrauch nimmt ab.

„Ich dachte, Männer müssen nicht über Gefühle reden.“
Patricks Neuanfang
Patrick kennt das Leben nach traditionellen Regeln der Männlichkeit – und weiß, warum er diese heute hinterfragt. In jungen Jahren sah er sich als Oberhaupt der Familie. Zwei Ehen scheiterten, sein Leben war geprägt von Alkohol und wechselnden Beziehungen. Mit der Zeit wurde ihm klar, dass diese Vorstellungen nicht nur ihn selbst, sondern auch seine Familie belasteten. Entscheidungen, die einst als „stark“ galten, führten zu Konflikten und Distanz. Erst durch ein Umdenken konnte er Verantwortung übernehmen, Nähe zulassen und Stabilität in seinem Leben und in seiner Familie herstellen.
Heute engagiert er sich als ehrenamtlicher Multiplikator. Er spricht in seiner Gemeinde über Familienplanung, Verantwortung und Chancengleichheit. „Ich kaufe Binden für meine Töchter, das ist selbstverständlich“, sagt er.


Männlichkeit neu gedacht im Alltag
Ein zentrales Konzept des Projekts ist positive Männlichkeit. Jungen und Männer sollen ermutigt werden, fürsorglich und respektvoll zu handeln, jenseits traditioneller Vorstellungen von Stärke und Dominanz.
„Wir leben in einer digitalen Welt, aber viele Geschlechterrollen sind in der Vergangenheit stecken geblieben“, sagt David Okeng von Plans Partnerorganisation vor Ort. „Unsere Aufgabe ist es, Jugendlichen zu zeigen, dass es Alternativen gibt.“
Auch Lehrerinnen und Mütter nehmen den Wandel wahr. „Früher war es undenkbar, dass Jungen über Menstruation sprechen“, sagt Sarah Apio, Lehrerin an einer Sekundarschule in Lira. „Heute sehe ich, dass sie Fragen stellen, zuhören und Verantwortung übernehmen. Das verändert das Klima in der ganzen Schule.“
„Ich musste meine Schule abbrechen, weil es keine Unterstützung gab. Ich wünsche mir, dass meine Töchter nicht dasselbe erleben.“
Perspektiven für die Zukunft
Uganda hat Programme zur Förderung der Geschlechtergerechtigkeit gestartet, doch traditionelle Rollenbilder prägen nach wie vor den Alltag vieler Familien. Immer mehr Schulen im Norden wollen Gesundheitsclubs nach dem Vorbild von Lira einrichten. Die größte Herausforderung bleibt die Finanzierung – für Materialien, wiederverwendbare Hygieneprodukte und die Ausbildung von Multiplikator:innen.
Veränderung zeigt sich im Alltag: in Vätern, die Binden kaufen, in Jungen, die zuhören, und in Mädchen, die ihre Stimme erheben. So wird Geschlechterverhalten in kleinen Schritten hinterfragt: nicht als Macht über andere, sondern als Verantwortung füreinander.
Die Geschichten von Joshua und Patrick wurden mit Material aus dem Plan-Büro in Uganda aufgeschrieben.