Mädchen verdienen mehr als die Ehe

Foto: Abdul-Manaph Ouro-Djeri

Durch den Mut eines Lehrers wurde Hariétou nur knapp vor der Kinderehe bewahrt. Danach war ihre Entscheidung klar: Nie mehr wollte sie von anderen Menschen abhängig sein.

„In meiner Gemeinde wird die Bildung von Mädchen nicht besonders geschätzt.“ Mit diesen klaren Worten eröffnet Hariétou das Gespräch. „Mädchen sind für die Hausarbeit bestimmt und werden nie zu wichtigen Entscheidungen befragt, die sie selbst betreffen“, erzählt die 18-Jährige weiter.

Ein Mädchen mit weißem Kopftuch lächelt in die Kamera
Hariétou entkam nur knapp der Kinderehe Abdul-Manaph Ouro-Djeri

Hariétou ist in Togo aufgewachsen, als Teil einer Minderheitengemeinschaft in der Region Centrale. Heute ist sie eine fröhliche, aufgeweckte und selbstbewusste junge Frau, der man auf den ersten Blick nicht ansieht, welche Schicksalsschläge sie bereits hinter sich hat.

Als sie gerade einmal zehn Jahre alt war, starb ihr Vater. Da ihre Mutter allein kaum für sich und die Mädchen sorgen konnte, zog Hariétou zu einem ihrer Onkel. Allerdings wurde dort ihren Träumen von einer Ausbildung und einem selbstbestimmten Leben wenig Beachtung geschenkt. Dann, im Mai 2023, beschlossen ihre Onkel, eine Ehe für sie zu arrangieren – gegen den Willen des damals gerade erst 16-jährigen Mädchens.

Kinderehe in Togo

Die Kinderheirat ist in vielen Gegenden Togos tief verwurzelt. Sie zählt zu den besorgniserregendsten Formen geschlechtsspezifischer Gewalt. Trotz eines klaren Rechtsrahmens, der das Mindestalter für die Eheschließung auf 18 Jahre festlegt, wird mehr als jedes vierte Mädchen noch vor Erreichen der Volljährigkeit verheiratet, oft unter dem Druck der Familie oder der Gemeinde. Der Großteil von ihnen stammt aus den Regionen Kara, Savanes und Centrale – dort sind Armut, Analphabetismus und geschlechterbasierte Ungleichheit besonders ausgeprägt.

Ihre Rechtfertigung erhält die Praxis aus tief verwurzelten sozialen Normen, die den häuslichen und reproduktiven Aufgaben von Mädchen einen höheren Stellenwert einräumen als ihrem Recht auf Bildung, Schutz und Autonomie. In einigen Gemeinschaften werden gebildete Mädchen nach wie vor als „schwer zu verheiraten“ oder „unbeherrschbar“ herabgewürdigt. 

Zur aktuellen Lage

Trotz mehrerer Regierungsinitiativen, die in den letzten Jahren die Bildungschancen für Mädchen verbessert haben, bleibt die Situation weiter kritisch. Während viele Mädchen inzwischen die Grundschule besuchen können, sind sie in der Sekundarschule und Oberstufe nach wie vor deutlich seltener vertreten als Jungen. Auch die Unterstützung für schutzbedürftige Mädchen und Überlebende geschlechtsspezifischer Gewalt ist nach wie vor unzureichend – insbesondere ihre Wiedereingliederung in Bildung oder Beschäftigung. Viele sind als Teenager-Mütter oder Überlebende von Zwangsehen stigmatisiert und sehen ihre Entwicklungschancen und ihre Autonomie dauerhaft beeinträchtigt.

Eine junge Frau hält einen blau-grünen Rock neben sich hoch
Stolz präsentiert Hariétou einen Rock, den sie in ihrer Schneiderinnen-Ausbildung selbst genäht hat Abdul-Manaph Ouro-Djeri
Eine Gruppe aus jungen Frauen und einem Mann steht lachen nebeneinander
Hariétou und einige Kolleginnen mit dem Inhaber der Schneiderei, bei dem sie ihre Ausbildung machen Abdul-Manaph Ouro-Djeri

Ein Lehrer schreitet ein

Diese diskriminierende Norm hätte auch den Verlauf von Hariétous Leben für immer verändern können. Doch dank der Wachsamkeit ihres Naturwissenschaftslehrers, der den Kinder- und Jugendclub der Schule leitete, konnte ihre Zwangsehe vereitelt werden. „Mein Lehrer alarmierte den Schulleiter, der daraufhin eine lokale Hilfsorganisation informierte“, schildert Hariétou die Ereignisse. „Sie kontaktierten die örtlichen Behörden, woraufhin meine Onkel verhaftet und die Heiratspläne aufgegeben wurden.“

„Meine Onkel weigerten sich, meine Ausbildung zu unterstützen. Damit war mein Traum, Hebamme zu werden, zerplatzt.“

Hariétou (18), wurde mit 16 knapp vor der Kinderehe bewahrt

Dank dieser Intervention konnte Hariétou ihren Bildungsweg fortsetzen und die mittlere Reife erlangen, die in Togo Brevet d'Etudes du Premier Cycle (BEPC) genannt wird. Doch ihre Onkel, frustriert über die annullierte Hochzeit, weigerten sich, ihre weitere Ausbildung zu unterstützen. „Sie sagten, sie könnten es sich nicht leisten und es wäre besser für mich, einen Mann zu finden, der sich um mich kümmern könnte“, sagt Hariétou. „Mein Traum, Hebamme zu werden, war zerplatzt.“

Da sie niemanden sonst mehr hatte, den sie um Hilfe bitten konnte, traf das Mädchen eine mutige Entscheidung: Sie würde sich nie wieder von anderen Menschen abhängig machen. Sie wollte einen Beruf erlernen, unabhängig werden und ihre Mutter und Schwestern selbst unterstützen.

Ein Projekt, das Mädchen eine Zukunft gibt

Seit 2019 läuft in den Präfekturen Tchaoudjo und Tchamba ein Projekt zur Stärkung der Zivilgesellschaft und Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt, das von Plan International in Zusammenarbeit mit dem Programme d'Appui à la Femme et à l'Enfance Déshéritée („Hilfsprogramm für Benachteiligte Frauen und Kinder“, kurz PAFED) durchgeführt wird. PAFED ist auch die Organisation, die im Falle von Hariétous Zwangsverheiratung die Behörden alarmiert hat.

Das Projekt ist Teil der umfassenden Bemühungen von Plan International zur Bekämpfung von Kinderheirat in Togo. Konkret zielt es darauf ab, durch gemeindebasierte Ansätze jegliche Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt zu verhindern, aufzudecken und zu bekämpfen. Dazu arbeitet die Kinderrechtsorganisation mit Behörden und Bildungseinrichtungen zusammen, sensibilisiert Familien und Gemeinden für die Gefahren der Frühverheiratung und leistet direkte Unterstützung von gefährdeten Mädchen, etwa in Form von psychosozialer Betreuung. Entscheidend ist, dass den Betroffenen auch konkrete Perspektiven angeboten werden – beispielsweise Berufsausbildungen oder Hilfe bei der wirtschaftlichen Stärkung.

Eine junge Frau mit weißem Kopftuch näht mit einer Nähmaschine
Hariétou arbeitet an ihrer nächsten modischen Kreation Abdul-Manaph Ouro-Djeri
Eine Gruppe junger Frauen in bunten Kleidern und mit Kopftüchern steht lachend zusammen
Die jungen auszubildenden Schneiderinnen verbindet ein enges Band der Freundschaft Abdul-Manaph Ouro-Djeri
Zwei Mädchen mit Kopftuch sitzen an einer Nähmaschine und begutachten ein grünes Stück Stoff
Hariétou und ihre Freundin nähen zusammen Abdul-Manaph Ouro-Djeri

Der Weg hin zur Selbstbestimmung

Wie vielen anderen Mädchen auch, half das Togo-Projekt Hariétou, sich in einem örtlichen Nähzentrum anzumelden, wo sie eine Ausbildung zur Schneiderin begann. Inzwischen ist sie im zweiten Jahr ihrer Ausbildung und wird nächstes Jahr die Abschlussprüfung ablegen. „Ich bin endlich wieder zuversichtlich“, freut sich die junge Frau. Stolz fügt sie hinzu: „Ich bin die beste Schülerin in der Werkstatt.“

Vor kurzem erhielt Hariétou über das Projekt auch eine eigene Nähmaschine – als Werkzeug, mit dem sie sich eine Zukunft aufbauen kann. „Ich werde damit meinen Lebensunterhalt verdienen, unabhängig werden und meine Familie unterstützen“, sagt sie voller Vorfreude. Ihr Weg ist nicht nur der eines Mädchens, das der Zwangsheirat entkommen ist, sondern der einer jungen Frau, die das Recht auf Selbstbestimmung zurückerlangt hat. Und dieser Weg macht einmal mehr deutlich, dass Mädchen mehr verdient haben als die Ehe.

Hariétous Geschichte wurde mit Material aus dem Plan-Büro in Togo aufgeschrieben.

Gezielt Mädchen stärken!

Plan International setzt sich weltweit für Schutz, Bildung, Gesundheit, politische Teilhabe und Einkommenssicherung von Mädchen und jungen Frauen ein – denn von Geburt an sind sie vielerorts stärker benachteiligt als Jungen.

Mit Ihrer Spende in den Mädchen-Fonds unterstützen Sie Projekte, die Benachteiligung, Armut und Gewalt gezielt bekämpfen. Seit 2003 trägt der Fonds dazu bei, Mädchen und Frauen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

Jetzt unterstützen

Sie mögen diesen Artikel? Teilen Sie ihn gerne.