Ein Hoffnungsanker am Horn von Afrika

Foto: Plan International

Inmitten von Vertreibung und Dürre sind provisorische Lernzentren in somalischen Geflüchtetenlagern eine Lebensader für die dort untergebrachten Kinder – und entfachen Träume für eine sichere Zukunft.

Die somalische Sonne brennt unerbittlich auf das Wellblechdach. Vor die Fensteröffnungen an den Wänden des provisorischen Klassenraums sind Fliegengitter gespannt – die staubig-trockene Luft ist auch hier drinnen deutlich spürbar. Ein Mädchen im blau-grauen Tschador – dem traditionellen Frauenschleier in Somalia – kommt durch die offene Tür in den Raum. In ihren Händen hält sie einige Schulhefte. „Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal die Chance haben würde, etwas zu lernen“, sagt sie.

Das Mädchen ist die 13-jährige Shamsa. Sie lebt mit ihrer Großmutter in einem Geflüchtetenlager in Baidoa – einem Bezirk in der südlichen Bay-Region. So wie ihr geht es in Somalia vielen Kindern. Die Einschulungsquote ist eine der niedrigsten weltweit. Von den 4,4 Millionen Mädchen und Jungen im schulpflichtigen Alter besuchen laut UNICEF 70 Prozent keine Schule. In den ländlichen Gebieten sowie in den Geflüchtetenlagern ist die Situation noch dramatischer. Es mangelt an angemessenen Bildungseinrichtungen und Lehrkräften, an grundlegenden Lernmaterialien, an Nahrungsmitteln und Wasser sowie an sanitären Einrichtungen. Vor allem aber mangelt es den Menschen in Somalia an Sicherheit.

Ein Mädchen mit Kopfschleier kommt durch die offene Tür in einen Raum. Sie hält Schulmaterialien in der Hand
Shamsa (13) trägt für ihr junges Alter bereits viel Verantwortung Plan International

Bewaffnete Konflikte und sich durch den Klimawandel häufende Naturkatastrophen zwingen Millionen Menschen zur Flucht.

Ein Land, gezeichnet von Konflikten und Gewalt

Der ostafrikanische Küstenstaat gehört zu den fragilsten Ländern weltweit. Bewaffnete Kämpfe zwischen Clans und Warlords zwingen Millionen Menschen zur Flucht und extreme Wetterereignisse wie Dürren und Überschwemmungen, ausgelöst durch den Klimawandel, verschärfen die Notlage.

Entstanden ist eine humanitäre Krise, die seit dreißig Jahren die Sicherheit der Zivilbevölkerung massiv bedroht. Viele verlassen deshalb ihre Heimat oder werden gewaltsam vertrieben. Offiziellen Angaben zufolge beläuft sich die Zahl der Binnenvertriebenen inzwischen auf rund vier Millionen Menschen, von denen sich die meisten in den urbanen Regionen um Baidoa oder Mogadischu ansiedeln.

Abshir steht vor einer Tafel, auf der mit Kreide eine Zahlentabelle geschrieben steht
Abshir träumte schon als kleiner Junge von einem Schulabschluss Plan International
Kinder sitzen in einem Klassenraum und lernen. Ein Mädchen hält ein Baby im Arm
Nuurto hält ihre kleine Schwester im Arm und lernt zusammen mit den anderen Kindern Plan International

Drei Kinder, ein Traum

Der tägliche Kampf ums Überleben zwang Shamsas Familie dazu, ihre Heimat zu verlassen. Im Geflüchtetencamp in Baidoa angekommen, schien die Lage zunächst nicht besonders aussichtsreich. Die ersten Wochen waren geprägt von Geschirr spülen, Kleidung schrubben, Wasser holen. Bildungsmöglichkeiten gab es nicht. Wie für viele Mädchen in Somalia schien ihre Zukunft auf die traditionelle Frauenrolle beschränkt zu sein.

Shamsas Altersgenossin Nuurto hat Ähnliches erlebt. Auch sie war seit der Ankunft im Geflüchtetenlager für viele Hausarbeiten verantwortlich und kümmerte sich um ihre sechs Monate alte Schwester. „Ich hatte nie die Möglichkeit, eine Ausbildung zu erhalten“, sagt sie. Ebenso wie der 15-jährige Abshir. In der ländlichen Gemeinde, in der er aufwuchs, gab es keine Schule. Nachdem verheerende Dürren die Lebensgrundlage seiner Familie zerstört hatten, lebt er heute bei seiner Tante in einem der Geflüchtetenlager in Baidoa.

Eine provisorische Schule bringt neue Hoffnung

Als dann ein temporäres Lernzentrum in ihrem Lager errichtet wird, wendet sich das Blatt für die drei Kinder. Sie haben nun die Möglichkeit, zu lernen, zu wachsen und über die Grenzen ihres Alltags hinaus zu träumen. Alles Schulmaterial, das die Mädchen und Jungen brauchen – Bücher, Hefte, Schreibsachen – bekommen sie zur Verfügung gestellt. Das sorgt für faire Bildungschancen.

Zusammen mit lokalen Partnerorganisationen vor Ort hat Plan International jeweils ein Lernzentrum in 20 Geflüchtetenlagern in den Bezirken Baidoa und Baardheere eingerichtet. Finanziert werden die Zentren von der Generaldirektion Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz (ECHO) der Europäischen Kommission.

Ein Schulgebäude aus Holz mit Wellblechdach
Das temporäre Lernzentrum gibt Kindern im Geflüchtetencamp ein Stück Normalität zurück Plan International
Vier Kinder inspizieren ein Schulgebäude, das aus Holzplatten und mit Wellblechdach gebaut wurde
Kinder inspizieren das temporäre Lernzentrum im Geflüchtetenlager Plan International

Die provisorischen Unterrichtsräume wirken nicht nur der dramatischen Bildungsnot entgegen, sie dienen in erster Linie auch dem Kinderschutz: Mädchen und Jungen bekommen psychosoziale Unterstützung und sichere Räume, die sie in Notfällen vor Schaden bewahren und ihre emotionale Widerstandsfähigkeit stärken. In Krisengebieten wie Somalia spielen diese Räume eine wichtige Rolle, um den Kindern ein Stück Normalität zurückzugeben.

Betreut werden die Zentren von ausgebildeten Lehrkräften, die neben den klassischen Schulfächern auch Unterrichtseinheiten zu Hygiene, Kinderrechten und Schutzverhalten altersgerecht vermitteln. Ausgestattet mit geschlechtsspezifischen Sanitäranlagen und inklusiven Lernmaterialien, sind die Räume auf die Bedürfnisse in den Lagern zugeschnitten. Zudem identifizieren mobile Teams besonders gefährdete Kinder und vermitteln sie an spezialisierte Schutzdienste.

Das Programm deckt nicht nur den unmittelbaren Bedarf, sondern trägt auch zu längerfristigen Lösungen bei. Lernzirkel für Lehrkräfte fördern die Reflexion unter den Betreuungspersonen sowie den Austausch bewährter Praktiken. Kinderclubs und Zusammenschlüsse auf Gemeindeebene tragen wichtige Schutzbotschaften in die Haushalte und stellen sicher, dass diese über die Klassenzimmer hinaus greifen und sich in den Gemeinschaften etablieren.

Zwei Mädchen in bunten Gewändern stehen vor einem Rollup mit Plan International Logo und sehen sich eine Broschüre an
Die Mädchen helfen sich gegenseitig und teilen ihr Wissen mit anderen Plan International
Ein Mädchen steht auf einer sandigen Straße und hält Schulmaterialien in der Hand
Shamsa ist stolz darauf, wieder zur Schule zu gehen Plan International

Bildungschancen lassen Zukunftspläne entstehen

Shamsa, Nuurto und Abshir hat das Lernzentrum ein Stück ihrer Kindheit zurückgegeben. „Sie haben uns mit allem unterstützt, was wir brauchen“, sagt Shamsa. Sie fühlt sich im Klassenraum sicher und wertgeschätzt. Besonders zu ihrer Lehrerin hat sie Vertrauen aufgebaut. „Sie ermutigt mich, frei zu sprechen und ich traue mich inzwischen auch, ihr alles zu erzählen.“

Nuurto und Abshir berichten ebenfalls positiv über ihre Erfahrungen. „Ich werde mich durch nichts vom Lernen abhalten lassen“, verkündet Nuurto. Da sich niemand sonst um ihre kleine Schwester kümmern kann, nimmt die 13-Jährige sie einfach in einem Tragetuch mit in den Unterricht. Abshir hofft, dass das Lernzentrum noch erweitert werden kann, um eines Tages auch Sekundar- und sogar Hochschulbildung anzubieten. „Ich möchte später einmal Lehrer werden, um weniger begünstigten Kindern helfen zu können“, erklärt der 15-Jährige. Diesen Traum teilt er mit Nuurto, die ebenfalls unterrichten und Menschen in ländlichen Gebieten die gleichen Chancen bieten möchte, die sie jetzt hat.

Shamsa hingegen hat andere Pläne: Die Bildungschancen, die ihr das Lernzentrum ermöglicht, haben in dem Mädchen den Traum geweckt, Hebamme zu werden. Sie will geflüchteten Müttern in den somalischen Lagern helfen. „Dieses Zentrum hat mir die Chance gegeben, jemand zu sein“, schließt sie und hält ihr Notizbuch fest umklammert.

In den Lernzentren von Baidoa und Baardheere spielen sich viele Geschichten ab. Die von Shamsa, Nuurto und Abshir wurde mit Material aus dem somalischen Plan-Büro aufgeschrieben.

Spenden gegen die Hungerkrise

Besonders in Ostafrika, der Sahelzone sowie Teilen Asiens und Lateinamerikas bedrohen Naturkatastrophen das Leben von Millionen Menschen. Politische Unruhen und bewaffnete Konflikte verschärfen vielerorts die Situation.

Plan International verbindet in den betroffenen Ländern akute Nothilfe mit langfristiger Unterstützung – für Kinder, Familien und ganze Gemeinden. Ihre Spende trägt einen Teil dazu bei.

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