Wenn Männlichkeit Fürsorge einschließt
Die Vorstellung davon, was einen „richtigen Mann“ ausmacht, hat sich nicht zufällig entwickelt. In vielen Gesellschaften entstanden patriarchale Strukturen aus alten Machtverhältnissen, religiösen Normen und sozialen Erwartungen, die festschrieben, wer entscheidet und wer sich fügt. Besonders in Zeiten der frühen Landwirtschaft und Sesshaftigkeit verstärkte sich ein Rollenmodell, das körperliche Stärke privilegierte und Frauen, trotz ihrer zentralen Rolle in Gemeinschaft und Versorgung, aus Entscheidungsräumen drängte. Dieses System wurde über Jahrhunderte kulturell verankert, weitergegeben und legitimiert.
Zwischen Macht und Aufbruch
Deshalb greift das Gegenargument der natürlichen und universellen Überlegenheit des Mannes gegenüber der Frau zu kurz. Anthropologische Forschung zeigt, dass viele indigene oder nomadische Gemeinschaften wesentlich egalitärer lebten: Aufgaben wurden flexibler verteilt, Fürsorge war kein weibliches Monopol und soziale Macht war weniger starr organisiert. Das patriarchale Modell ist also kein Naturzustand, sondern eine historische Konstruktion – und aus dem Grund veränderlich. Doch seine Auflösung erfordert Geduld und gezielte Anstrengung.
Heute zeigt sich sein Einfluss weltweit: Frauen leisten laut UN rund drei Viertel aller unbezahlten Care-Arbeiten, während jede dritte Frau körperliche oder sexualisierte Partnerschaftsgewalt erlebt. In Ecuador spiegeln sich diese Strukturen besonders deutlich wider. Viele Frauen sind wirtschaftlich abhängig, tragen den größten Teil der Haus- und Erziehungsarbeit, haben weniger Entscheidungsfreiheit und sind häufiger Gewalt ausgesetzt.
Diese Ungleichheit durchzieht den Alltag. Wenn Autorität als männlich und Fürsorge als weiblich gilt, entstehen starre Rollenbilder: Mädchen lernen früh, sich anzupassen, während Jungen anerzogen wird, dass Zärtlichkeit als Schwäche gilt. Das erlernte Verhalten, dass sich dann oft durch ihr Erwachsensein zieht, ist das Unterdrücken von Gefühlen, das Vermeiden von Nähe und das Missverstehen von Gewalt als „Durchsetzungsfähigkeit“. Die Muster sind so alltäglich, dass sie oft gar nicht mehr wahrgenommen werden, aber sie formen Familien über Generationen hinweg.
Wie neue Räume entstehen
Hier setzt „Papás que Cuidan“ („Väter, die sich kümmern“ ) an, ein Programm von Plan International, das in Provinzen wie Cotopaxi und Santa Elena arbeitet. Es schafft geschützte Räume, in denen Männer beginnen, über Prägungen zu sprechen – und über Gewalt, Grenzen, Kommunikation, Gleichberechtigung. Sie lernen, wie Fürsorge, emotionale Präsenz und geteilte Verantwortung nicht nur ihre Partnerinnen entlasten, sondern auch das Leben ihrer Kinder entscheidend verändern. Das Programm zeigt, dass Männlichkeit nicht am Maßstab der Distanz gemessen werden muss, sondern an der Art, wie Männer Verantwortung tragen.
Das Programm und seine Wirkung
Das Programm schafft mehr als nur Bewusstsein. Es ersetzt alte Muster durch neue Erfahrungen. Männer üben, über Gefühle zu sprechen, aktiv Care-Arbeit zu übernehmen, Grenzen zu reflektieren und ihre Kinder auf Augenhöhe zu begleiten. Viele stellen dabei fest, dass ihnen selbst nie eine liebevolle Vaterfigur begegnet ist – und genau daraus entsteht ihre Motivation, es anders zu machen.
Der Wandel zeigt sich besonders im Alltag: in gemeinsamen Mahlzeiten, im Windeln wechseln, in Routinen voller Nähe, im Teilen von Entscheidungen. Diese kleinen Schritte verändern die Dynamik in den Familien nachhaltig. Die Belastung der Mütter sinkt, Konflikte nehmen ab, Gewalt wird seltener, Kinder erleben mehr Sicherheit und Zuneigung. Genau hier entfaltet das Programm seine Wirkung – als Einladung, sich selbst neu kennenzulernen.
„Liebe und Aufmerksamkeit eines Vaters sind ein Geschenk, das ich meinen Kindern geben möchte, obwohl es mir selbst nie vorgelebt wurde.“
Kevin: Präsenz als tägliche Entscheidung
Kevin, 30, aus einem Küstendorf in Santa Elena, erinnert sich daran, wie fern ihm Fürsorge früher erschien. Er war überzeugt, ein guter Vater müsse vor allem arbeiten, hart sein, durchhalten. Erst in den Workshops verstand er, wie sehr ihn diese Erwartung geprägt hatte und wie wenig Raum sie ihm ließ. Gespräche über positive Erziehung und die Bedeutung emotionaler Präsenz öffneten ihm eine neue Perspektive.
Heute teilt er die Aufgaben im Haushalt und in der Kinderbetreuung ganz selbstverständlich mit seiner Frau. Er füttert sein Baby, spielt mit seinem Sohn im Hof, spricht abends mit seiner älteren Tochter über Freundschaften und Sorgen.
„Ein Vater, der mit seinen Kindern Zeit verbringt und sich um sie sorgt, ist ein guter Vater.“
Leiver: Ein junger Vater findet seinen Platz
Auch Leiver, 22, erlebte einen Wandel. Als seine Tochter geboren wurde, fühlte er sich unsicher, fast überfordert. Er hatte nie gesehen oder erlebt, wie ein Vater ein kleines Kind umsorgt. Im Programm von Plan International lernte er, wie viel Zuneigung in alltäglichen Handlungen steckt: beim nächtlichen Aufstehen, beim Wickeln, beim Füttern, beim Begleiten zum Arzt.
Wandel von innen heraus
Die Geschichten von Kevin und Leiver zeigen, wie tief Veränderung wirken kann, wenn sie im Inneren beginnt. Ihre Entscheidungen durchbrechen ein System, das Frauen benachteiligt und Männer emotional begrenzt. Sie zeigen ihren Söhnen, dass Zärtlichkeit eine Stärke ist, und ihren Töchtern, dass Gleichberechtigung zu Hause beginnt.
Für viele Männer brauchen solche Schritte Mut. Es bedeutet, Verletzlichkeit zuzulassen und das Bild zu hinterfragen, das ihnen beigebracht wurde. Doch Schritt für Schritt kann Wandel funktionieren – und von Dauer bleiben.
Die Geschichte von Kevin und Leiver wurde mit Material aus dem ecuadorianischen Plan-Büro aufgeschrieben.