
Was bleibt, wenn das Wasser geht
Als die 18-jährige Lizeth auf einen ausgetrockneten Wasserlauf zeigt, wirkt der Ort wie vergessen. Kein Vogelgezwitscher, kein plätscherndes Wasser; nur trockener Stein und die ferne Erinnerung an die Paúros, die natürlichen Quellen, die einst als Lebensadern ihrer Gemeinde dienten. „Früher haben unsere Vorfahren hier ihr Trinkwasser geholt“, sagt die junge Frau. Heute ist vieles anders. Nicht nur die Quellen sind verschwunden, auch das Wissen, das mit ihnen verbunden war, droht zu versickern.
Ein Paúro ist ein Wasserlauf, der unterirdisch entspringt oder zwischen Felsen sickert und dann an die Oberfläche tritt. Es handelt sich also um eine Art Quelle oder Rinnsal. Aufgrund menschlicher Eingriffe in die Natur sind viele Paúros in der Region Ascensión de Guarayos (kurz: Guarayos) im Tiefland Boliviens ausgetrocknet und in Vergessenheit geraten.
Guarayos ist auch die Heimat von Lizeth. Was hier früher grüner Wald war, ist heute durch massive Umweltveränderungen aus dem Gleichgewicht geraten. Übrig ist oft nur verkohlte Erde. Doch Lizeth und andere junge Menschen leisten Widerstand – mit Engagement, Kreativität und einem klaren Ziel: ihre Heimat zu schützen.


Der stille Rückzug des Wassers
Zwischen 2005 und 2018 wurden in der Provinz Guarayos über 170.000 Hektar Wald zerstört. Dies entspricht über 1000 mal dem Hamburger Stadtpark oder 4000 mal der Münchener Theresienwiese. Seit jüngerer Zeit verschärfen sich die Krisen: Im Jahr 2024 meldete der Notfallausschuss der Region Santa Cruz, dass über eine Million Hektar Wald den Flammen zum Opfer gefallen war. Der Wald in Guarayos wurde hauptsächlich durch gezielte Rodung für Landwirtschaft zerstört. Die Waldverluste im Jahr 2024 entstanden überwiegend durch großflächige Brände. Viele dieser Brände wurden absichtlich gelegt oder durch Menschen ausgelöst.
Die vergessenen Leidtragenden der Wasserknappheit
Die Folgen spürt vor Ort jede Familie, denn Wälder spielen eine zentrale Rolle im Wasserkreislauf. Sie speichern Feuchtigkeit im Boden, schützen Quellen wie die Paúros und verhindern Erosion. Wenn der Wald verschwindet, geht diese Schutzfunktion verloren: Der Boden trocknet schneller aus, Quellen versiegen und Regenwasser fließt ungehindert ab. Viele Gemeinden verlieren den Zugang zu sauberen, nahegelegenen Wasserquellen und müssen weite Strecken zurücklegen, um Wasser zu finden. Oft müssen dann Tanklaster einspringen, doch sie liefern meist zu wenig Wasser. Das Problem verschärft sich, weil der durch Rodung und Brände freigelegte Boden weniger Feuchtigkeit aufnehmen kann, sich schneller erhitzt und austrocknet. So entsteht ein Teufelskreis aus Waldverlust, Wassermangel und wachsender Abhängigkeit von externer Versorgung.
Die Wasserkrise ist kein lokales Problem, sie betrifft weite Teile Boliviens. Laut Zivilschutz waren Ende 2023 fast eine halbe Million Familien von der anhaltenden Dürre betroffen. Besonders dramatisch ist die Lage für Kinder, Frauen und die indigene Bevölkerung, da sie zu den vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen gehören und kaum Ressourcen haben, um die Krise zu bewältigen. Auch Lizeths Gemeinde ist stark betroffen. Sie erzählt: „Vor etwa zwei Jahren ging uns das Wasser komplett aus."

„Wir mussten eine Lösung für das Wasser finden, aber auch für unsere Zukunft.“

Zwei Jungendliche, eine Idee und viele Unterstützer:innen
Lizeth war 16 Jahre alt, als sie dem Jugendkomitee ihrer Gemeinde beitrat, mit dem Wunsch, etwas gegen die Probleme in ihrer Umgebung zu tun. Sie hatte keine Erfahrung mit politischem Engagement, wusste nicht, wie man ein Projekt plant oder ein Gesetz schreibt. „Ich wusste nicht einmal, was ein Gesetz ist“, sagt sie rückblickend. Doch mit Unterstützung von Plan International und der Mapeko-Stiftung lernte sie schnell, ihre Stimme zu nutzen.
Das Jugendkomitee von Guarayos ist ein Zusammenschluss engagierter junger Menschen, die sich für die Rechte von Kindern und Jugendlichen stark machen und Missstände in ihrer Region sichtbar machen. Gemeinsam mit der Mapeko-Stiftung entwickelte das Komitee einen Gesetzesvorschlag zum Schutz der Paúros. Ziel war es, die Quellen ökologisch wiederherzustellen, ihre kulturelle Bedeutung sichtbar zu machen und die Gemeinde für einen sorgsamen Umgang mit Wasser zu sensibilisieren. „Die Paúros sind mehr als nur Wasserstellen, sie sind Teil unserer Identität. Das wollten wir zeigen“, so Lizeth.
Junge Stimmen gestalten Zukunft
Das Projekt wurde gemeinsam mit der Gemeinde umgesetzt, initiiert und getragen von den jungen Menschen im Kinder- und Jugendkomitee, zu dem auch Lizeth gehört. Begleitet wurde es von einer Reihe an Workshops, Schulungen und Beratungen, die konkrete Fähigkeiten vermittelten: wie man politische Forderungen formuliert, eine Gemeinde sensibilisiert oder einen Gesetzesvorschlag entwickelt. Diese Formate waren Teil eines größeren Programms von Plan International zur Stärkung junger Menschen, an dem Lizeth seit mehreren Jahren teilnimmt. Ziel des Projekts ist es, Kinder und Jugendliche in Guarayos zu befähigen, sich aktiv für ihre Rechte und den Schutz ihrer Umwelt einzusetzen und ihre Gemeinden dabei mitzunehmen. 2023 stellte das Komitee schließlich einen konkreten Gesetzesvorschlag zum Schutz der Paúros vor. „Wir haben gehört, dass er bald verabschiedet werden soll“, sagt Lizeth mit einem stolzen Lächeln.


Politisches Engagement auf Augenhöhe
Das Jugendkomitee von Guarayos ist das erste seiner Art in der Region. Es wurde demokratisch gewählt und setzt sich dafür ein, dass junge Menschen bei politischen Entscheidungen mitreden können, insbesondere in Umwelt- und Zukunftsfragen. Ziel ist es, Gesetzesinitiativen auf lokaler Ebene einzubringen, Beteiligungsrechte für Kinder und Jugendliche zu stärken und dafür zu sorgen, dass ihre Anliegen dauerhaft in den Strukturen der Gemeinde verankert werden, etwa durch feste Jugendvertretungen, eigene Räume oder klare Zuständigkeiten in der Verwaltung. Doch bislang fehlt es an vielem: Jugendzentren, offizielle Ansprechpartner:innen, finanzielle Mittel.
„Junge Menschen werden oft übersehen“, sagt Lizeth. „Dabei sind wir diejenigen, die mit den Folgen dieser Krisen leben müssen.“ Plan International unterstützt diesen Prozess, indem die Organisation Räume für Mitsprache schafft, junge Menschen wie Lizeth durch Schulungen stärkt und den Dialog zwischen Jugendkomitees und Behörden fördert. Ziel ist eine langfristige Beteiligung junger Menschen an politischen Entscheidungen, nicht nur als Teilnehmende, sondern als aktive Gestaltende.
Der Verlust kultureller Wurzeln
Die Krise betrifft nicht nur die Natur. Auch das kulturelle Wissen der Guarayos schwindet, der indigenen Bevölkerungsgruppe, die seit Jahrhunderten in der Region lebt und eng mit dem Wald verbunden ist: Geschichten, Sprache, Rituale. Lizeth beobachtet diese Entwicklung mit Sorge: „Unsere Großeltern erzählen keine Geschichten mehr, die Sprache wird kaum noch weitergegeben“, sagt sie. „Das macht mich traurig. Wenn wir nicht handeln, wissen wir bald nicht mehr, wer wir sind.“
Deshalb verknüpft ihr Projekt Umweltschutz mit kultureller Wiederbelebung. In Workshops lernen Kinder und Jugendliche nicht nur etwas über die alten Wasserquellen, sondern auch über ihre eigene Herkunft, ihre indigene Sprache sowie ihre traditionellen Lieder und Geschichten.


Hoffnung auf eine neue Generation
Trotz aller Herausforderungen blickt Lizeth optimistisch in die Zukunft. Sie glaubt an die Kraft ihrer Generation, an junge Menschen, die ihre Kultur kennen, sich für ihre Umwelt einsetzen und selbstbewusst sagen: „Ich bin Guarayo.“
Der Artikel wurde mit Material aus dem Plan-Büro in Bolivien erstellt.