
Warum Mädchen in die Schule gehören
Jenifer hat einen Traum – sie will Krankenschwester werden, wenn sie groß ist. Sie weiß, dass sie dafür auf jeden Fall die Schule abschließen und fleißig lernen muss. Aber an dem Willen zur Weiterbildung und benötigten Ehrgeiz mangelt es der Zehnjährigen keinesfalls. „Lernen macht mir großen Spaß“, sagt sie. „Ich befolge immer die Anweisungen meiner Lehrerin und möchte gerne noch mehr lernen.“


Armut, kulturelle Normen und fehlende Infrastruktur
Doch in ihrer Heimat Quiché, einem Departamento im nordwestlichen Hochland Guatemalas, in dem ein Großteil der indigenen Maya-Bevölkerung lebt, legen kulturelle Normen, Armut und fehlende Infrastruktur verantwortungsbewussten Mädchen wie Jenifer viele Steine in den Weg. Zahlen des Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA) bestätigen, dass in Guatemalas ländlichen Regionen Mädchen im Durchschnitt nur etwa vier Jahre zur Schule gehen – bei indigenen Mädchen sind es sogar nur drei Jahre. Die meisten von ihnen verlassen die Schule spätestens mit 15 Jahren. Die Gründe: wirtschaftliche Not, häusliche Pflichten und Frühverheiratung.
Um zu verstehen, warum die Situation gerade für indigene Mädchen so prekär ist, muss ein Blick auf die soziopolitische Umgebung geworfen werden, in der sie aufwachsen: Guatemala ist das bevölkerungsreichste Land Zentralamerikas; etwa 44 Prozent der Menschen sind Indigene, haben jedoch in Politik, Staatsdienst und Wirtschaft kaum Einfluss. Hohe soziale Ungleichheit, Korruption und Bandenkriminalität polarisieren die Gesellschaft. Knapp 58 Prozent der Guatemaltek:innen leben in Armut, wobei die indigene Bevölkerung 1,6-mal mehr davon betroffen ist als die europäisch-stämmige. Das geht aus einer 2025 veröffentlichten Studie des Ministeriums für soziale Entwicklung (Mides) hervor. Quiché ist das drittärmste Departamento des Landes.


Herausforderungen im Bereich Bildung
Hinzu kommt, dass das Bildungswesen in einer massiven Krise steckt. Das Land investiert wenig, 2023 waren es gerade einmal rund drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zum Vergleich: das Nachbarland Honduras investierte im gleichen Zeitraum mehr als das doppelte. Auch die Alphabetisierungsrate lag 2022 nur bei 84 Prozent – deutlich unter dem lateinamerikanischen Durchschnitt von 94 Prozent. Die Folgen sind Lehrkräftemangel, sanierungsbedürftige Schulen, mangelnde Ausstattung und weite Schulwege – vor allem auf dem Land.
Indigenen Mädchen bleibt die Welt der weiterführenden Schulen meist verschlossen: Erstens, weil Privatschulen zu teuer und öffentliche Schulen schlecht sind. Und zweitens, weil der in Lateinamerika weit verbreitete Machismo – eine Lebenseinstellung, die Jungen und Männern eine Überlegenheit gegenüber Mädchen und Frauen vermittelt – dazu führt, dass Geld oft nur in die Bildung der Söhne investiert wird. Die Mädchen sind für Haushalt zuständig, sollen früh heiraten und Kinder bekommen.
„Ich bin glücklich, bei meiner Großmutter zu leben, weil sie sich um mich kümmert und mich zum Lernen ermutigt.“
Kleine Hilfe, große Wirkung
Diesem Schicksal will Jenifer unbedingt entgehen. Ihre Familie unterstützt sie dabei. Nachdem ihre Eltern auf der Suche nach Arbeit ausgewandert waren, zogen Jenifer und ihre Geschwister zu ihrer Großmutter mütterlicherseits. „Ich bin glücklich, bei ihr zu leben, weil sie sich um mich kümmert und mich ermutigt, fleißig zu lernen“, freut sich die Zehnjährige.
Auch Plan International unterstützt die Bildung von Mädchen in Quiché. Gezielte Maßnahmen wie Stipendien, Kinderrechte-Workshops und die Verteilung von Unterrichtsmaterialien helfen den Kindern, Hindernisse wie Armut und Geschlechterungleichheit zu überwinden. So können sie weiter die Schule besuchen und zu Jugendlichen heranwachsen, die für ihre Rechte einstehen.
Auch Jenifer und ihre jüngere Schwester haben kürzlich neue Schulmaterialien erhalten, darunter Hefte und Stifte, die es ihnen ermöglichen, ohne Einschränkungen weiter am Unterricht teilzunehmen. „Jetzt kann ich meine Hausaufgaben machen und weiter lernen“, sagt Jenifer begeistert.
Von Bildung profitieren alle Generationen
Wenn sie mit ihren Schulaufgaben fertig ist, hilft Jenifer ihrer Großmutter oft im Haushalt. Sie kümmert sich dann um die Tiere der Familie oder betreut ihre kleine Schwester. Und nach getaner Arbeit bringt sie ihrer Großmutter Spanisch bei. „Früher sprach sie nur K’iche“, erklärt Jenifer. K’iche ist die meistgesprochene der über 20 Maya-Sprachen und wird in weiten Teilen des guatemaltekischen Hochlands genutzt.


Obwohl Jenifer ihre Eltern vermisst, versteht sie, warum sie weggehen mussten. Je älter sie wird, umso bewusster werden ihr die mangelnden Perspektiven in ihrer Heimat. Aber die Zehnjährige ist fest entschlossen, fleißig zu lernen und in der Schule ihr Bestes zu geben. „Meine Großmutter ist mein Fels in der Brandung“, sagt sie. „Und eine Ausbildung ist der beste Weg, ihr zu danken.“ Wenn sie später eine erfolgreiche Krankenschwester ist, will Jenifer ihrer Großmutter und ihren Geschwistern ein besseres Leben ermöglichen.
Die Gesellschaft in Guatemala traut indigenen Mädchen wenig zu. Doch wenn sie die Chance auf einen guten Schulabschluss bekommen, steigt nicht nur ihr Selbstwert, sondern sie haben auch die Möglichkeit, sich und ihre Familie aus der Armut zu holen. Jenifer steht noch am Anfang ihrer Bildungsreise – aber durch den Rückhalt ihrer Familie und der Unterstützung von Plan International kann sie diese Reise Schritt für Schritt fortsetzen.
Die Geschichte von Jenifer wurde mit Material aus dem Plan-Büro in Guatemala aufgeschrieben.