
„Wie soll man als Kind für einen Mann sorgen?“
Am 11. Oktober ist Weltmädchentag – und auch in diesem Jahr veröffentlicht Plan International den „State of the World’s Girls Report“, um die Stimmen und Erfahrungen von Mädchen und jungen Frauen aus verschiedensten Ländern weltweit sichtbar zu machen.
2025 beleuchtet der Report die Erfahrungen von frühverheirateten Mädchen aus 15 Ländern und weist damit auf eine der größten Menschenrechtsverletzungen unserer Zeit hin: die Kinderehe. Zwölf Millionen Mädchen werden jedes Jahr vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet, obwohl diese Praxis in den meisten Ländern illegal ist. Die Ergebnisse der Umfrage geben Einblicke in die Lebensrealität der zwangsverheirateten Mädchen und jungen Frauen und zeigen, welche weitreichenden Folgen die Praxis für ihre Zukunft und ihre Gesundheit hat.


Armut – der häufigste Grund für Kinderehen
Mädchen, die vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet werden, verlassen häufig frühzeitig die Schule und gehen keiner Ausbildung nach. Das sind zwei der zentralen Ergebnisse der Befragung. Die Interviews zeigen: Mehr als jede Dritte (35 Prozent) hat nach der Heirat die Schule abgebrochen, und 63 Prozent gehen weder einer Beschäftigung nach noch absolvieren sie eine Ausbildung – obwohl viele von ihnen gerne lernen oder arbeiten würden.
„Ich wurde sehr früh verheiratet und hatte keine Chance, weiter zur Schule zu gehen – mir wurde alles vorenthalten.“
Als häufigsten Grund für eine Ehe oder Lebensgemeinschaft führen die befragten Mädchen wirtschaftliche Not oder sozialen und familiären Druck an. Oft ist die frühe Verheiratung der Töchter eine enorme Entlastung für die Familien, da ihnen der Ehemann Geld, Vieh oder Kleidung als Brautpreis zahlt.
Gerade in Regionen, in denen Armut, Analphabetismus und geschlechterbasierte Ungleichheit verbreitet sind, haben Frauen kaum Möglichkeiten, selbst ein Einkommen zu erzielen. Auf ihre Bildung wird kein Wert gelegt, da man von ihnen erwartet, sich um Haushalt und Kindererziehung zu kümmern. Im Gegenteil: In manchen Gemeinschaften werden gebildete Mädchen sogar als „schwer zu verheiraten“ oder „unbeherrschbar“ herabgewürdigt. So entsteht ein Teufelskreis, der ein selbstbestimmtes Leben kaum möglich macht.


Gewalt, Ungleichheit und Diskriminierung
Doch auch innerhalb der Ehen mangelt es den Mädchen und jungen Frauen an Perspektiven. Mehr als jede dritte Befragte (38 Prozent) gibt an, bei Entscheidungen im Haushalt kein Mitspracherecht zu haben. Das betrifft auch die sexuellen und reproduktiven Rechte – die Ehemänner entscheiden über Verhütung, Schwangerschaften und die weiblichen Körper. Nicht nur, weil sie als Männer in patriarchalen Gesellschaften ein hohes Ansehen genießen, sondern auch aufgrund ihres Alters: Meist sind die Ehemänner mindestens fünf Jahre älter als ihre Frauen, manchmal sogar zehn oder 20 Jahre.
Viele der befragten Mädchen fühlen sich in ihren Ehen psychisch überfordert und mit den Pflichten von Erwachsenen allein gelassen. Mehr als jede Zehnte (13 Prozent) offenbart zudem, Gewalt erlebt zu haben – sowohl körperlich als auch seelisch. Angesichts der damit verbundenen Ängste ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer noch deutlich höher liegt.
„Mein Mann hat mich sehr dominiert, weil ich zu jung war. Immer wenn ich einen Vorschlag machte, hielt er es für unvernünftig.“
Stigmatisierung, Isolation und Perspektivlosigkeit
Selbst die Auflösung einer Frühverheiratung bietet oft wenig Grund zur Hoffnung. Viele Mädchen berichten, dass sie aufgrund der Trennung mit sozialer Stigmatisierung, Isolation und zusätzlichen finanziellen Schwierigkeiten konfrontiert sind. Auch von ihren Familien kommt keine Unterstützung. In vielen Fällen sind die geschiedenen Mädchen und Frauen auf sich allein gestellt.
Auch wenn sie wissen, dass es ihre Töchter nicht unbedingt leichter haben werden: Keines der interviewten Mädchen möchte, dass das eigene Kind vor dem 18. Lebensjahr heiratet. Durch Armut, Gesetzeslücken und unzureichende Strafverfolgung besteht Frühverheiratung jedoch fort und ist in vielen Gemeinschaften nach wie vor tief verankert.

„Meiner Meinung nach ist es nicht richtig, mit zwölf zu heiraten, denn wie soll man für sich selbst und seinen Mann sorgen, wenn man noch ein Kind ist?“
Hoffnungsschimmer aus Bolivien
Aber es gibt Hoffnung: Ende September 2025 trat in Bolivien ein neues Gesetz in Kraft, das Kinderheirat und frühe Eheschließungen ohne Ausnahmen verbietet. Zuvor waren in dem südamerikanischen Land frühe Eheschließungen ab dem Alter von 16 Jahren erlaubt, wenn eine elterliche oder gerichtliche Ausnahmegenehmigung vorlag. Damit ist Bolivien das achte Partnerland von Plan International, das die Kinderehe offiziell unter Strafe stellt.
Bereits seit Jahren setzt sich die Kinderrechtsorganisation in Bolivien – wie auch in anderen Ländern weltweit – für den Schutz von Kindern ein und erarbeitet zusammen mit lokalen und internationalen zivilgesellschaftlichen Organisationen Empfehlungen für den Gesetzgeber. Diese gemeinsamen Bemühungen haben nun echte Veränderung bewirkt.


„Die Verabschiedung des neuen Gesetzes ist ein großer Schritt zum Schutz von Mädchen und Jugendlichen in Bolivien. Aber Gesetze allein werden Kinderheirat nicht beenden“, sagt Carmen Elena Alemán, Länderdirektorin von Plan International für Lateinamerika und die Karibik.
Was es weiterhin brauche, seien Programme, die schädliche soziale Normen verändern, die Bildung vorantreiben und sicherstellen, dass Mädchen dieselben Chancen haben wie Jungen.
Petra Berner, Vorstandsvorsitzende von Plan International Deutschland, fügt hinzu: „Die Ergebnisse der Umfrage zeigen eine oft verschwiegene Realität und geben Mädchen und jungen Frauen eine Stimme. Sie bestärken uns in unserer Arbeit und zeigen, dass wir mit unseren Programmen zur Aufklärung und Unterstützung auf dem richtigen Weg sind, um die Zahl der Frühverheiratungen zu senken. Unser Ziel ist klar: Wir wollen Kinderehen ein für alle Mal abschaffen.“
Für den Report zu Frühverheiratung weltweit wurden Interviews mit 251 verheirateten Mädchen im Alter von 15 bis 24 Jahren in 15 Ländern sowie eine Online-Umfrage mit 244 Aktivistinnen durchgeführt.