Von Missbrauch und anderen Tabus

Foto: Hartmut Schwarzbach

In Mosambik übernehmen junge Leute die Führung bei heiklen Themen in ihrem Lebensumfeld. Die Blaupause für eine bessere Zukunft?

Die Sonne steht im Zenit und die Nationalhymne ist eben verklungen. Während die jüngsten Kinder lachend ihre Plätze räumen, haben sich die Klassenzimmer sofort wieder mit älteren gefüllt. Es ist „die zweite Schicht“ am Nachmittag an der Sekundarschule Escola Secundária Geral de Nhancoja in Inhambane, rund eine Autostunde liegt die gleichnamige Provinzhauptstadt entfernt. Hier, im ländlichen Plan-Programmgebiet, leben die Familien in Einzelhäusern, die versteckt in einer üppig grünen Savannenlandschaft stehen. Zwischen Palmen und Buschwerk legen ihre Kinder täglich oft viele Kilometer über sandige Straßen zurück, um am Unterricht teilnehmen zu können.

Eine junge Fraue mit Notizblock
Weil es so viele Schulkinder gibt, lernen sie in zwei Schichten Hartmut Schwarzbach
Ein rötlich-sandiger Weg
Über sandige Pisten legen die Kinder in Inhambane ihren Schulweg zurück Hartmut Schwarzbach

Was den jungen Menschen am Herzen liegt

Mathematik, Portugiesisch, Geschichte – der Lehrplan ist prall gefüllt, und liefert dennoch bei weitem nicht alles, was den jungen Menschen am Herzen liegt. Die Teenager fragen etwa nach Familienplanung und Verhütung. Die Antworten darauf bekommen sie im Jugendclub, der sich an der Schule etabliert hat. „Champions of Change“ – die „Champions des Wandels“ – nennt sich die Gruppierung, die Plan International 2023 hier initiiert hat. Auf Anhieb sind ihr 160 Jugendliche beigetreten, um im geschützten Raum all jene Themen zu diskutieren, die für ihr zukünftiges Erwachsenenleben wichtig sind.

Zwei junge Männer diskutieren
Die „Champions of Change“ setzen sich mit den Folgen von häuslicher und sexualisierter Gewalt auseinander Hartmut Schwarzbach
Vier junge Frauen mit Plakaten
„Nein heißt nein“ – brisante Themen wie sexuelle Gewalt greifen die Mitglieder des Jugendclubs auf selbst gestalteten Plakaten auf Hartmut Schwarzbach

Probleme durch die Kinderehe

Die sexuellen und reproduktiven Rechte junger Frauen und Männer sind nur ein Aspekt, der bei den regelmäßigen Treffen besprochen wird. Die Gefahren und Ursachen von früher Schwangerschaft stehen ebenso auf der Agenda, wie Kinderehen und dadurch oftmals vernachlässigte Bildung. „Wer frühzeitig schwanger wird, kann oft die Schule nicht erfolgreich abschließen“, wissen die knapp 80 Teilnehmenden, die sich heute Nachmittag zusammengefunden haben. Dabei geht es ihnen um mehr als ein Bewusstsein für Familienplanung. In Mosambik werden derzeit 53 Prozent der Kinder verheiratet, bevor sie 18 Jahre alt sind.

53 Prozent der Kinder in Mosambik heiraten, bevor sie 18 Jahre alt sind

Häusliche und sexualisierte Gewalt, die Benachteiligung von Mädchen und Frauen, schädliche Normen, die Kinder jeden Geschlechts von einer freien Entfaltung abhalten, mangelnde Hygiene während der Periode oder die Ausgrenzung von Minoritäten wie Menschen mit Albinismus – all das kommt bei den „Champions of Change“ zur Sprache. Die Clubmitglieder haben eigene Kampagnen entwickelt, um auf ihre Rechte und Probleme aufmerksam zu machen. Beispielsweise die Verhütung von HIV/Aids. Von den 32,2 Millionen Menschen in Mosmabik sind etwa 2,2 Millionen infizierten, nach UN-Angaben eine der höchste HIV-Raten weltweit. Über all das informieren die Jugendlichen, etwa mit selbst entwickelten Theaterstücken und Sketchen.

Jugendgruppe mit einem Albino-Jungen
Im Theaterstück wird ein Albinojunge wegen seines andersartigen Aussehens gemobbt, bis es zu einer Versöhnung kommt Hartmut Schwarzbach
Eine junge Frau spricht vor Publikum
Eine „Champions of Change“-Moderatorin Hartmut Schwarzbach

Positive Lebensentwürfe in der Provinz

In einem Theaterstück wird ein Junge mit Albinismus von seinen Schulkameradinnen gehänselt. „Wer gibt schon einem Aussätzigen die Hand“, spotten die Laiendarstellerinnen bei ihrem Auftritt, der sich auch und gerade an die Dorfbevölkerung richtet. Das Mobbing geht noch weiter – bis ein Gleichaltriger für den Jungen Partei ergreift und sich sein Alltag fortan zum Positiven wandelt. „Wir sind alle von einem Blut“, konstatieren die Jugendlichen einstimmig. Sie gestalten außerdem Wandzeitungen und Plakaten, mit denen sie in den ländlichen Siedlungen auf ihre Alltagsthemen aufmerksam machen.

Und die Digitalisierung? „Alles mitgedacht“, winken vier junge Frauen lässig ab, die engagiert durch das nachmittägliche Clubprogram führen. „Für online haben wir Videoclips vorbereitet.“

Ein junger Mann hält ein Plakat
Das Ende von sexueller Gewalt liegt auch und gerade in den Händen der Männer Hartmut Schwarzbach

Ein generationenübergreifender Austausch fördert den Wandel

Und dann sind da noch die meist tabuisierten Lebensrealitäten, die Fälle von sexualisierter Gewalt hinter verschlossenen Türen und ihre verheerenden Folgen für die Opfer – hier werden sie ausgesprochen. Selbstbewusst prangern die „Champions of Change“ solche Menschenrechtsverletzungen in Wort und Bild an. Mädchen und Jungen – sie verschaffen sich gleichberechtigt Gehör und erlernen dabei gleichzeitig Schlüsselqualifikationen wie Foto- und Videotechnik, Moderations-, Diskussions- oder Illustrationskenntnisse.

„Was wir hier besprechen, betrifft die Kinderrechte.“

Tania (17), „Champions of Change“-Aktivistin in Mosambik
Jugendliche vor einem Schulgebäude
Den Bau der Schule in dieser ländlichen Region von Inhambane hat Plan International initiiert Hartmut Schwarzbach
Eine Gruppe Jugendlicher sitzt im Stuhlkreis
Unter freiem Himmel oder in der Räumen ihrer Schule treffen sich die Mitglieder des Jugendclubs „Champions of Change“ in Mosambik Hartmut Schwarzbach

Bei all dem kreativen Aktionismus der Jugendlichen behalten irgendwie auch die jüngsten Kinder ihren Platz: „Was wir hier besprechen, betrifft die Kinderrechte – und das erfahren die anderen natürlich auch“, berichtet Tania (17), die souverän die letzte Session unter freiem Himmel moderiert. „Wir informieren unsere jüngeren Geschwister und die wiederum ihre Generation und so weiter.“

Und die Jugendlichen denken schon weiter. Wenn es nach ihnen geht, soll es auch in den benachbarten Ortschaften bald vergleichbare Jugendclubs geben, damit sich die jüngere Generation auf Augenhöhe treffen und austauschen kann. Es sind Schritte für eine gewaltfreiere, bessere Zukunft. Alltägliche Herausforderungen sollen gemeinsam bewältigt werden – darin sind sich an diesem Nachmittag alle einig.

Marc Tornow, Pressereferent und Chefredakteur im Hamburger Plan-Büro, hat die „Champions of Change” in Mosambik besucht und ihre Geschichte für die Plan Post aufgeschrieben.

Mit einer Patenschaft helfen

In Mosambik ist Plan International besonders bei der Betreuung von HIV-Infizierten engagiert. Betroffen sind vielfach indirekt deren Kinder. Wir bilden Gesundheitsteams aus, die sich sowohl um Erkrankte als auch um Waisenkinder kümmern. Darüber hinaus leisten wir Aufklärungsarbeit und organisieren frühkindliche sowie berufliche Bildungsangebote.

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