
Im Schatten der unbekannten Hochkultur
Muon und Ming lachen verlegen, als die Sprache auf die Tempel von Angkor kommt. Jenes 200 Quadratkilometer große Gebiet gespickt mit etwa 1.000 größeren und kleineren baulichen Heiligtümern. Sie stammen aus einer Zeit, in der die Könige Jayavarman und Suryavarman hießen und der Hinduismus die vorherrschende Religion bildete. Im Zentrum dieses sogar vom Weltall aus sichtbaren Areals: Die versunkene Khmer-Kapitale Angkor Thom, in der schon damals Hunderttausende lebten.
Kaum sechs Kilometer sind es vom beschaulichen Holzhaus der beiden Schwestern aus bis dorthin. Der Brennpunkt des Welt-Kulturerbes wird täglich von rund 10.000 Touristen besucht. Ming zuckt mit den Schultern und lacht wieder. Nein, was es mit all den Bauwerken auf sich hat, darauf könne sie sich keinen Reim machen.

Brüskiert sind weder die Schwestern noch ihre Nachbarn, die man über das Angkor-Reich befragt – und ebenfalls keine Auskunft geben können. Knapp vier Jahre nur regierten die Roten Khmer in den 1970er-Jahren über das Königreich am Mekong – und rissen dabei Millionen Landsleute in den gewaltsamen Tod. Mönche, Lehrer, Künstler, selbst schon Brillenträger standen leicht im Verdacht, intellektuell zu sein – und wurden wie die Mitglieder der Königsfamilie auf die berüchtigten „Killing Fields“ geschickt. Mit ihrem gewaltsamen Tod gingen Kultur und Fachwissen verloren.

Die für Außenstehende frappierenden Wissenslücken vieler Menschen bekommen im historischen Kontext eine ganz andere Bedeutung. Sie erscheinen wie ein Echo aus der Finsternis.
Doch allmählich wächst in der gezeichneten Nation wieder ein Bewusstsein für die eigene Geschichte und seine mächtige Vergangenheit. Anstatt zwischen Bürgerkrieg und Mangelernährung ums nackte Überleben zu kämpfen, bleibt der Bevölkerung zunehmend wieder Zeit, die Kinder zur Schule zu schicken. Und dort ist zunehmend die eigene Geschichte wieder ein Thema.
