Unter dem Zelt von „Madame Kondom"

Foto: Mikko Toivonen

Im Norden Ugandas beginnen Jugendliche über Themen zu sprechen, die lange als Tabus galten. Agnes Apio, genannt „Madame Kondom“, schafft hierfür einen sicheren Raum, der Wissen und Selbstbestimmung fördert.

Das weiße Zelt steht still in der Mittagshitze. Nur der Wind bewegt die Baumwipfel über der kleinen Lichtung in Lira im Norden Ugandas. Jugendliche sitzen auf Holzbänken und warten geduldig, bis sie an der Reihe sind. Im Zelt sitzt Agnes Apio, Beraterin und Projektkoordinatorin bei Reproductive Health Uganda (RHU). Sie begrüßt alle, die zu ihr kommen, mit einem Lächeln. Viele Gesichter kennt sie längst. Für die Menschen hier ist sie keine Fremde, sondern eine Vertraute.

„Ich habe immer Verhütungsmittel dabei, deshalb nennen sie mich auch ‚Madame Kondom‘", sagt sie und lacht. Ihr Spitzname ist längst zu einem Symbol geworden – für Offenheit, Vertrauen und Aufklärung in einer Gemeinschaft, in der über Sexualität lange Zeit der Mantel des Schweigens gehüllt wurde. Doch das beginnt sich nun zu ändern.

Frau steht lächelnd vor einem weißen Zelt auf einer Wiese
Agnes vor ihrer mobilen Gesundheitsklinik Mikko Toivonen

„Viele trauen sich nicht, mit ihren Eltern zu sprechen. Manche schleichen sich durch die Büsche zur Klinik, damit niemand sie sieht.“

Agnes, mobile Gesundheitsberaterin in Uganda

Wenn Tabus gefährlich werden

Gemeinsam mit Plan International unterstützt RHU junge Menschen in den abgelegenen Regionen des Landes. Die mobile Gesundheitsklinik, die regelmäßig Dörfer rund um die Stadt Lira besucht, bietet Untersuchungen, Behandlungen, Medikamente und vor allem Aufklärung: über Familienplanung, HIV/AIDS, sexuelle Rechte und häusliche Gewalt.

Was einfach klingt, ist in der Praxis ein vorsichtiges, oft leises Arbeiten. Noch immer gelten Themen rund um Sexualität und reproduktive Gesundheit in Uganda vielerorts als gesellschaftliches Tabu. Jugendliche wissen oft nicht, an wen sie sich wenden können.

Dabei ist der Bedarf groß: Laut ugandischem Gesundheitsministerium wird fast jedes vierte Mädchen im Land vor dem 19. Lebensjahr schwanger. Fehlende Aufklärung, ungewollte Schwangerschaften und sexuell übertragbare Infektionen gehören zu den größten Herausforderungen. „Man kann jungen Menschen Sex nicht verbieten“, sagt Agnes. „Selbst wenn Eltern das tun, passiert es trotzdem – nur ohne Wissen, ohne Schutz. Deshalb ist Aufklärung so wichtig.“

Wissen schafft Selbstbestimmung

Das Projekt verfolgt ein Ziel, das über medizinische Versorgung hinausgeht: Es soll jungen Menschen ermöglichen, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. In der mobilen Klinik können sie vertraulich Fragen stellen, Kondome oder Verhütungsmittel erhalten und sich über Beziehungen oder Ehe beraten lassen – ohne Scham, ohne Verurteilung.

Agnes ist nicht nur für den Betrieb der Klinik zuständig, sondern auch für die Ausbildung lokaler Gesundheitsfachkräfte. „Wir wollen sicherstellen, dass Wissen in den Gemeinden bleibt“, erklärt sie. „So können junge Menschen langfristig von Fachkräften profitieren, die sie kennen und denen sie vertrauen.“

Eine Frau im weißen Shirt lehnt lächelnd an einer Wand
Agnes ist eine vertrauensvolle Ansprechpartnerin für viele Jugendliche und steht ihnen bei Themen wie Verhütung und Beziehungen mit Rat und Tat zur Seite Mikko Toivonen
Portraitfoto des stellvertretenden Bezirksgesundheitsbeauftragten für Lira
Edmund Acheka ist der stellvertretende Bezirksgesundheitsbeauftragte für Lira Mikko Toivonen
Einige der Medikamente der mobilen Gesundheitsklinik
Die mobile Gesundheitsklinik stellt Jugendlichen neben Aufklärung und Beratung auch Medikamente und Verhütungsmittel zur Verfügung Mikko Toivonen

Die Ergebnisse sind spürbar. Edmund Acheka, stellvertretender Gesundheitsbeauftragter des Distrikts, sieht klare Fortschritte: „Die Familienplanung hat sich verbessert, Paare bekommen später Kinder und HIV-Fälle werden früher erkannt und behandelt. Das Projekt hat das Leben vieler Menschen positiv verändert.“

„Aufklärung ist kein Angriff auf Traditionen, sondern ein Schutz für die Kinder.“

Agnes, mobile Gesundheitsberaterin in Uganda

Eine stille Revolution

Inzwischen kommen immer mehr Jugendliche freiwillig zur Klinik. Sie fragen nach, wollen verstehen und lernen, Verantwortung zu übernehmen. Agnes erinnert sich an ein Mädchen, das zum ersten Mal über Verhütung sprechen wollte. „Sie war nervös, aber mutig“, erzählt sie. „Ein paar Monate später kam sie wieder – diesmal mit ihrer Freundin. Jetzt beraten sie andere Mädchen in ihrer Schule.“

Diese kleinen Veränderungen ziehen ihre Kreise. In Workshops und Gesprächsrunden beginnen auch Eltern, über sensible Themen zu sprechen. Agnes begleitet sie mit Geduld. „Viele Eltern wollen das Beste für ihre Kinder“, sagt sie. „Sie wissen nur manchmal nicht, wie sie solche Gespräche führen sollen.“

Mobiles Gesundheitszentrum in Lira
Mit ihrem mobilen Gesundheitszelt besucht Agnes ländliche Gemeinden im Bezirk Lira im Norden Ugandas Mikko Toivonen

Vertrauen, das wächst

Agnes sieht sich als Teil eines Netzwerks von Menschen, die gemeinsam etwas bewegen. „Ich verurteile niemanden“, sagt sie. „Ich erkläre, warum Wissen wichtig ist. Dann merken viele, dass Aufklärung kein Angriff auf Traditionen ist, sondern ein Schutz für die Kinder.“

Durch Geduld, Vertrauen und Zusammenarbeit gelingt es Agnes und ihrem Team, Vorbehalte abzubauen. Inzwischen laden immer mehr Gemeinden die mobile Klinik selbst ein. „Ich bin glücklich, weil unsere Arbeit so vielen jungen Menschen hilft“, sagt Agnes. „Manchmal kommt jemand nach Jahren zurück und erzählt, dass er oder sie jetzt selbst Gesundheitsberatung macht. Das erfüllt mich mit Stolz.“

Die Geschichte von Agnes wurde mit Material aus dem ugandischen Plan-Büro aufgeschrieben. 

Gezielt Mädchen stärken!

Mädchen und Jungen haben laut der UN-Kinderrechtskonvention dieselben Rechte. Trotzdem erleben Mädchen häufiger Diskriminierung. Plan International macht auf diese Ungerechtigkeit aufmerksam und gibt mit diversen Projekten einen Anstoß, die Situation von Mädchen weltweit zu verbessern. Denn Mädchen sollen lernen, leiten, entscheiden und ihr volles Potenzial entfalten können.

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