Unter dem Zelt von „Madame Kondom"
Das weiße Zelt steht still in der Mittagshitze. Nur der Wind bewegt die Baumwipfel über der kleinen Lichtung in Lira im Norden Ugandas. Jugendliche sitzen auf Holzbänken und warten geduldig, bis sie an der Reihe sind. Im Zelt sitzt Agnes Apio, Beraterin und Projektkoordinatorin bei Reproductive Health Uganda (RHU). Sie begrüßt alle, die zu ihr kommen, mit einem Lächeln. Viele Gesichter kennt sie längst. Für die Menschen hier ist sie keine Fremde, sondern eine Vertraute.
„Ich habe immer Verhütungsmittel dabei, deshalb nennen sie mich auch ‚Madame Kondom‘", sagt sie und lacht. Ihr Spitzname ist längst zu einem Symbol geworden – für Offenheit, Vertrauen und Aufklärung in einer Gemeinschaft, in der über Sexualität lange Zeit der Mantel des Schweigens gehüllt wurde. Doch das beginnt sich nun zu ändern.
„Viele trauen sich nicht, mit ihren Eltern zu sprechen. Manche schleichen sich durch die Büsche zur Klinik, damit niemand sie sieht.“
Wenn Tabus gefährlich werden
Gemeinsam mit Plan International unterstützt RHU junge Menschen in den abgelegenen Regionen des Landes. Die mobile Gesundheitsklinik, die regelmäßig Dörfer rund um die Stadt Lira besucht, bietet Untersuchungen, Behandlungen, Medikamente und vor allem Aufklärung: über Familienplanung, HIV/AIDS, sexuelle Rechte und häusliche Gewalt.
Was einfach klingt, ist in der Praxis ein vorsichtiges, oft leises Arbeiten. Noch immer gelten Themen rund um Sexualität und reproduktive Gesundheit in Uganda vielerorts als gesellschaftliches Tabu. Jugendliche wissen oft nicht, an wen sie sich wenden können.
Dabei ist der Bedarf groß: Laut ugandischem Gesundheitsministerium wird fast jedes vierte Mädchen im Land vor dem 19. Lebensjahr schwanger. Fehlende Aufklärung, ungewollte Schwangerschaften und sexuell übertragbare Infektionen gehören zu den größten Herausforderungen. „Man kann jungen Menschen Sex nicht verbieten“, sagt Agnes. „Selbst wenn Eltern das tun, passiert es trotzdem – nur ohne Wissen, ohne Schutz. Deshalb ist Aufklärung so wichtig.“
Wissen schafft Selbstbestimmung
Das Projekt verfolgt ein Ziel, das über medizinische Versorgung hinausgeht: Es soll jungen Menschen ermöglichen, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. In der mobilen Klinik können sie vertraulich Fragen stellen, Kondome oder Verhütungsmittel erhalten und sich über Beziehungen oder Ehe beraten lassen – ohne Scham, ohne Verurteilung.
Agnes ist nicht nur für den Betrieb der Klinik zuständig, sondern auch für die Ausbildung lokaler Gesundheitsfachkräfte. „Wir wollen sicherstellen, dass Wissen in den Gemeinden bleibt“, erklärt sie. „So können junge Menschen langfristig von Fachkräften profitieren, die sie kennen und denen sie vertrauen.“
Die Ergebnisse sind spürbar. Edmund Acheka, stellvertretender Gesundheitsbeauftragter des Distrikts, sieht klare Fortschritte: „Die Familienplanung hat sich verbessert, Paare bekommen später Kinder und HIV-Fälle werden früher erkannt und behandelt. Das Projekt hat das Leben vieler Menschen positiv verändert.“
„Aufklärung ist kein Angriff auf Traditionen, sondern ein Schutz für die Kinder.“
Eine stille Revolution
Inzwischen kommen immer mehr Jugendliche freiwillig zur Klinik. Sie fragen nach, wollen verstehen und lernen, Verantwortung zu übernehmen. Agnes erinnert sich an ein Mädchen, das zum ersten Mal über Verhütung sprechen wollte. „Sie war nervös, aber mutig“, erzählt sie. „Ein paar Monate später kam sie wieder – diesmal mit ihrer Freundin. Jetzt beraten sie andere Mädchen in ihrer Schule.“
Diese kleinen Veränderungen ziehen ihre Kreise. In Workshops und Gesprächsrunden beginnen auch Eltern, über sensible Themen zu sprechen. Agnes begleitet sie mit Geduld. „Viele Eltern wollen das Beste für ihre Kinder“, sagt sie. „Sie wissen nur manchmal nicht, wie sie solche Gespräche führen sollen.“
Vertrauen, das wächst
Agnes sieht sich als Teil eines Netzwerks von Menschen, die gemeinsam etwas bewegen. „Ich verurteile niemanden“, sagt sie. „Ich erkläre, warum Wissen wichtig ist. Dann merken viele, dass Aufklärung kein Angriff auf Traditionen ist, sondern ein Schutz für die Kinder.“
Durch Geduld, Vertrauen und Zusammenarbeit gelingt es Agnes und ihrem Team, Vorbehalte abzubauen. Inzwischen laden immer mehr Gemeinden die mobile Klinik selbst ein. „Ich bin glücklich, weil unsere Arbeit so vielen jungen Menschen hilft“, sagt Agnes. „Manchmal kommt jemand nach Jahren zurück und erzählt, dass er oder sie jetzt selbst Gesundheitsberatung macht. Das erfüllt mich mit Stolz.“
Die Geschichte von Agnes wurde mit Material aus dem ugandischen Plan-Büro aufgeschrieben.