„Meine Kinder sollen eine Perspektive haben!“

Foto: Plan International

Als Edwina mit 16 verheiratet wird, ist ihre Kindheit schlagartig vorbei. Die Chance auf eine Ausbildung – zunichte gemacht. Ihren eigenen Kindern will sie das ersparen.

Die Region Rukwa im Westen Tansanias liegt eingebettet zwischen Seen – dem Tanganjikasee im Westen und dem Rukwasee im Osten. Fast drei Viertel der dort lebenden Erwerbstätigen arbeiten in der Landwirtschaft. Hier ist Edwina aufgewachsen, in einem kleinen Dorf, wo die Lebensmittel knapp und die Möglichkeiten für Mädchen und Frauen begrenzt sind.

Mit 16 Jahren verändert sich ihr Leben dramatisch und ihre Kindheit ist schlagartig vorbei. Denn ihre Familie glaubt, eine Heirat würde dem Mädchen eine sichere Zukunft bieten. „Meine Mutter erzählte mir, dass ein Mann eine Kuh und ein kleines Stück Land als Mitgift für mich angeboten hatte“, erinnert sich Edwina. Damals dachte sie noch, sie würde ein besseres Leben anfangen können. Doch die Realität sah ganz anders aus.

Luftaufnahme einer Kleinstadt in der Region Rukwa
Kleinstadt in der tansanischen Region Rukwa Plan International

„Ich hatte nicht mit Schlägen und Demütigungen gerechnet.“

Edwina (40), wurde mit 16 Jahren an einen älteren Mann verheiratet

Aus dem Traum von Liebe wird gewaltsame Realität 

Ihr deutlich älterer Ehemann erwartet, dass sich Edwina der traditionellen Rolle der Frau beugt – ausschließlich um den Haushalt und die Kindererziehung sollte sie sich kümmern. Dass seine Frau studieren oder arbeiten ging, war für ihn ausgeschlossen. „Damals erzählte uns niemand etwas über Schule oder Träume. Man wuchs auf, heiratete, und das war's“, fasst Edwina ihre Kindheit nüchtern zusammen.

„Ich war damals noch ein Mädchen. Einen anderen Weg als die Ehe gab es in meinen Augen nicht“, erzählt sie weiter. „Ich dachte, nach der Heirat würde man sich um mich kümmern.“ Aber ihr Traum von Liebe und Zuneigung schlägt mit der Zeit in das genaue Gegenteil um: Ihr Mann wird gewalttätig. „Ich hatte nicht mit Schlägen und Demütigungen gerechnet. Ich sah keinen Ausweg“, gibt Edwina zu. Sie darf auch das Haus nicht mehr verlassen und je mehr Kinder sie bekommt, desto stärker wird sie von der Außenwelt isoliert. „Bevor ich mich versah, war ich Mutter von acht Kindern, schwanger mit meinem neunten und völlig allein“, sagt sie. 2022 lässt ihr Mann sie dann mit allen Kindern sitzen.

Edwina hält lachend eine ihrer Töchter auf dem Arm
Für Edwina heißt eine gute Mutter zu sein, dass sie ihren Töchtern Bildung und eine schöne Kindheit bieten kann Plan International
Edwina sitzt auf einer Decke auf dem Boden und hält eine Schale mit Maiskörnern in der Hand
Als Landwirtin hat sich Edwina nach und nach eine Existenz aufgebaut Plan International

Traditionen, die Mädchen schaden 

In Tansania werden etwa 29 Prozent der Mädchen vor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet, fünf Prozent von ihnen noch bevor sie 15 sind. In einigen Regionen des Landes liegt die Prävalenzrate sogar bei über 50 Prozent. Die herrschende Annahme, dass Mädchen gegenüber Jungen unterlegen seien, ist einer der Hauptgründe für die vielen Kinderehen. Vorehelicher Sex oder außereheliche Schwangerschaften mindern den Wert der Mitgift eines Mädchens und untergraben die Ehre ihrer Familie. Erschwerend hinzu kommt die Armut: Der „Mahari“ (Brautpreis), den der Ehemann in Form von Geld, Vieh oder Kleidung zahlt, ist oft eine enorme Entlastung für die Familien. Denn Mädchen haben kaum Möglichkeiten, selbst ein Einkommen zu erzielen. Zumal sie meist auch einen niedrigen oder gar keinen Bildungsabschluss haben.

„Ich musste mich zwischen Essen und dem Schulbesuch meiner Kinder entscheiden, da ich mir ihre Bücher und Schuluniformen nicht leisten konnte.“

Edwina (40), wurde von ihrem Mann mit neun Kindern sitzen gelassen

Harte Entscheidungen einer alleinerziehenden Mutter

Nachdem ihr Mann sie verlassen hat, ist Edwina auf sich allein gestellt. Ihr wird schnell klar, dass sie ohne Hilfe ihre neun Kinder nicht würde ernähren können. Fünf ihrer Kinder gibt sie deshalb zu deren Großmutter; ihre vier jüngsten Töchter zieht sie von da an allein groß. „Ich hatte nichts außer meinen Kindern und kein Geld“, sagt die heute 40-Jährige. An manchen Tagen weiss sie nicht einmal, was sie ihren Kindern zu essen geben soll.

Um zumindest etwas zu verdienen, beginnt sie, am Straßenrand Gemüse zu verkaufen. Aber die Grundbedürfnisse ihrer Kinder zu decken, verlangt der alleinerziehenden Mutter oft schwierige Entscheidungen ab. „An den meisten Tagen musste ich mich zwischen Essen und dem Schulbesuch meiner Kinder entscheiden, da ich mir ihre Bücher und Schuluniformen nicht leisten konnte. Meistens haben wir gegessen“, erzählt sie. Ihren Mädchen sagen zu müssen, dass sie nicht zur Schule gehen können, fällt Edwina alles andere als leicht.

Spargruppen als Rettungsanker

In ganz Tansania besuchen etwa 3,2 Millionen Kinder und Jugendliche keine Schule – oft deshalb, weil ihre Familien die Kosten für Schulgebühren, Uniformen und Verpflegung nicht aufbringen können. In ländlichen Gebieten sind Mädchen ab zwölf Jahren überproportional betroffen: Grund für ihren Schulabbruch ist neben der Kinderheirat die Menstruation und die unzureichenden sanitären Einrichtungen an den Schulen.

Aber genau das will Edwina ihren Töchtern ersparen. Sie sollen später ihre eigenen Entscheidungen treffen können und die Möglichkeit haben, einen Beruf zu erlernen. Als sie vor drei Jahren hört, dass Plan International in ihrem Dorf eine Spargruppe unterstützt, keimte neue Hoffnung in ihr auf. Nach anfänglichem Zögern entscheidet sie sich, beizutreten. „Das Sparen machte mir Angst, weil ich mir kaum zwei Mahlzeiten am Tag leisten konnte“, erklärt sie. „Beim ersten Treffen der Gruppe saß ich einfach still da.“

Doch mit der Zeit fasst Edwina Vertrauen in das Modell, bei dem sich die Teilnehmerinnen regelmäßig Treffen und Minimalbeträge in eine Gemeinschaftskasse einzahlen sowie Kleinkredite aufrufen können. Heute ist sie Teil eines Netzwerks von über 230 Spargruppen in Rukwa, die gezielt Frauen stärken. In Schulungen von Plan International und seiner lokalen Partnerorganisation SIDO lernt Edwina etwas über Budgetplanung, Unternehmertum, Erziehung und die Prävention von geschlechtsspezifischer Gewalt. „Ich habe zum ersten Mal verstanden, wie ich mit meinen Finanzen klug umgehe und für die Zukunft meiner Kinder plane“, sagt sie.

Eine Frau hält einige Geldscheine und Münzen in der ausgestreckten Hand
Die Spargruppe hat Edwinas Leben zum Positiven verändert Plan International
Auf einer Decke auf dem Boden vor ihrem Maisfeld hat Edwina Maiskörner zum Trocknen ausgebreitet
Nach der Ernte muss Edwina ihren Mais zunächst trocknen Plan International
Asha steht mit ihrer jüngeren Schwester in einem gemauerten Hauseingang und lacht. Die beiden Mädchen tragen blaue, geblümte Kleider.
Asha (li.) und ihre jüngere Schwester sind stolz auf ihre Mutter Plan International

Von der Bettlerin zur optimistischen Geschäftsfrau

Mittlerweile ist Edwina eine erfolgreiche Geschäftsfrau. In ihrem kleinen Laden verkauft sie selbst angebauten Mais und kann damit ihre Familie versorgen. Sie bewirtschaftet insgesamt zweieinhalb Hektar Land und züchtet Geflügel. Ihr monatliches Einkommen ist auf bis zu 700.000 Tansanische Schilling (etwa 242 Euro) gestiegen. Ihren Kindern kann sie damit endlich das stabile Leben bieten, das sie sich selbst so sehr gewünscht hat. Auch die Schule können sie wieder besuchen. „Ich liebe die Schule“, erzählt ihre zwölfjährige Tochter Asha stolz. Sie will später Krankenschwester werden. „Wenn ich groß bin, möchte ich Menschen helfen. Mama sagt mir, dass mich jetzt nichts mehr aufhalten kann.“

„Ich liebe die Schule.“

Asha (12), eines von Edwinas neun Kindern

Aber nicht nur für ihre Kinder ist Edwina eine wichtige Bezugsperson. „Leute kommen jetzt zu mir, um mich um Rat zu fragen“, sagt sie mit einem Lächeln. „Ich habe mich von einer Bettlerin zu jemandem entwickelt, dem andere zuhören.“ Ihre Vergangenheit ist auch gleichzeitig ihr größter Motivator für die Zukunft. „Ich habe vielleicht meine Chance auf eine Ausbildung verpasst, aber ich werde nicht zulassen, dass die Armut meinen Kindern diese Chance nimmt“, sagt sie entschlossen. „Früher dachte ich, ich sei nur eine Frau mit zu vielen Kindern und ohne Einkommen. Jetzt sehe ich mich als Geschäftsfrau, Landwirtin und Mutter, die für ihre Familie sorgt.“

Die Geschichte von Edwina wurde mit Material aus dem Plan-Büro in Tansania aufgeschrieben.

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