
Junge Vorbilder gegen alte Traditionen
Es ist noch früh am Morgen, doch die malawische Sonne steht bereits hoch am Himmel und brennt unbarmherzig auf den trockenen Boden. Zwischen Hügeln und Büschen ertönt von einem freien Platz her lautes Lachen und fröhliches Geschrei. Einige aufgedrehte Jungen spielen offenbar gerade ein Spiel. In ihrer Mitte steht ein junger Mann mit weißem Hemd und leuchtend roter Mütze auf dem Kopf.
Das Dorf, in dem sich die Szene abspielt, liegt in Phalombe, einem Bezirk im Süden Malawis. Und der Mann mit der Mütze ist Patrick (25). Seit ein paar Jahren leitet er die hiesige Gruppe der „Champions of Change“, der Club des Wandels, der mithilfe von Plan International eingerichtet worden ist. „Der Club ist sehr beliebt“, freut er sich. „Das wundert mich auch nicht, denn Spiel und Spaß machen einen großen Teil unseres Programms aus. Aber wir diskutieren auch ernste Themen.“ Zu diesen ernsten Themen zählen unter anderem Kinderheirat, Gewalt sowie sexuelle und reproduktive Gesundheit.
Die treibenden Faktoren hinter der Kinderehe
Malawi ist eines der am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Armut ist weit verbreitet und zusammen mit kulturell-religiösen Praktiken oftmals treibender Faktor von geschlechtsspezifischer Gewalt und Kinderheirat. Obwohl gesetzlich verboten, werden fast 40 Prozent der malawischen Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag verheiratet.






Aber auch sozialer Druck kann einige Mädchen früh in die Ehe treiben – so wie es bei Lines (18) der Fall war. Sie erzählt, dass sie wegen finanzieller Schwierigkeiten ihrer Familie die Schulgebühren nicht mehr bezahlen konnte. Von den anderen Kindern im Dorf habe sie dafür viel Spott geerntet und sich deshalb entschieden, früh zu heiraten – gegen den Willen ihrer Mutter Madalitso. „Als meine Tochter heiratete, hatte ich gemischte Gefühle. Sie war noch sehr jung. Ich habe versucht, es ihr auszureden, aber sie bestand auf die Ehe“, erzählt die besorgte Mutter.
Junge Männer setzen sich für die Rechte von Mädchen ein
Um eben diesen sozialen Druck gar nicht erst zu erzeugen, lernen die „Champions des Wandels“ bei ihren Treffen etwas über Gleichberechtigung und die Bedeutung von Bildung. Die Clubs gibt es in Malawi sowohl für Jungen als auch für Mädchen. Ihr Hauptziel ist es, Zwangs- und Kinderehen zu verhindern.

In Patricks Club sind Jungen und junge Männer im Alter von zehn bis 19 Jahren. Zusammen befassen sie sich zweimal wöchentlich mit den Rechten von Mädchen, Gewalt, Belästigung und Frühverheiratung. Praktische Übungen und Gemeinschaftsprojekte stärken ihr Selbstvertrauen und ihre Führungsqualitäten. So lernen sie gleichzeitig etwas über positive Männlichkeit.
Bei der Projektarbeit von Plan International spielen Jungen und Männer eine wichtige Rolle. Denn nur mit ihrer Hilfe kann dauerhafter sozialer Wandel stattfinden. Ihre Stimme und ihr Engagement sorgen dafür, dass schädliche Praktiken wie Kinderheirat langfristig gestoppt werden können. In Phalombe haben die „Champions of Change“ zwischen 2021 und 2023 bereits 30 Kinderehen in ihrem Dorf aufgelöst.
„Viele Kinder erleben in ihren Familien Gewalt.“
Heranwachsende Vorbilder für die Gemeinde
„Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Jungen und Mädchen in ihren Familien Gewalt erleben“, berichtet Patrick. Er ist in diesem Dorf aufgewachsen und sieht die Probleme mit eigenen Augen. Auch Fälle von sexueller Belästigung und Vergewaltigung kämen immer wieder vor.
Als sich Patrick die Möglichkeit bot, 2021 den „Champions of Change“-Club des Dorfes zu übernehmen, ergriff er die Chance ohne zu zögern. Nun trägt er mit seiner Gruppe von Jugendlichen dazu bei, das Leben vieler junger Menschen positiv zu verändern.
„Die Kinder haben oft schon sehr früh Sex, weil sie damit zeigen wollen, dass sie erwachsen sind“, fährt er fort. Den Jungen und Mädchen sei dabei meist nicht bewusst, dass ungeschützter Sex neben frühen Schwangerschaften auch zur Verbreitung von HIV oder AIDS beitragen könne.
Deshalb sei die Aufklärungsarbeit, die sein Club leistet, so wichtig. Und weil er die Jungen dazu animiere, sich die Aufgaben im Haushalt zu teilen. „Früher waren es immer die Mädchen, die die ganze Hausarbeit erledigten. Die Jungen ließen sie alles machen, sodass sie zu spät zur Schule kamen“, so der Clubleiter. Erst durch eine faire Aufteilung der Hausarbeit können die Mädchen ihre Bildung ungehindert fortsetzen.


Ihr Engagement macht die Jungen stolz
„Ich bin dem Club beigetreten, weil meine Freunde so aussahen, als hätten sie dort viel Spaß. Also wollte ich auch mitmachen“, gibt Matthews (12) zu. Inzwischen ist er ein tatkräftiges Mitglied und stolz auf die neuen Fähigkeiten, die er durch die Gruppe gelernt hat.
„Ich denke, wenn Mädchen zu früh verheiratet werden, kann das ihre Zukunft ruinieren. Sie haben ein Recht darauf, zur Schule zu gehen“, ist er überzeugt. Dieses Selbstvertrauen und Wissen will er später nutzen, um als Lehrer die Kinder seines Dorfes über die Rechte von Mädchen und Jungen aufzuklären.
„Ich möchte, dass meine Schwester einen guten Beruf bekommt.“
Sein Freund Jonathan (13) ist ebenfalls ein „Champion of Change“ und sagt: „Meine Familie findet es gut, dass ich zu dieser Gruppe gehöre, weil ich viele verschiedene Dinge lerne.“ Das Gelernte teilt er wiederum mit seinen Eltern und Geschwistern. „Wenn ich meine Schwester sehe, möchte ich, dass sie die Möglichkeit hat, einen guten Beruf zu bekommen“, betont er nachdrücklich.
Die beiden Jungen erklären weiter, dass sich der Club geschlossen für die Kinder im Dorf einsetze. Wenn es zum Beispiel einer Familie an Schulmaterialien fehle, dann komme die Gruppe zusammen und finde eine Lösung. Denn eine gute Bildung sei für alle eine wichtige Voraussetzung im Leben. Mit diesem Wissen in der Tasche ziehen die Jungen los.
Mit Hausbesuchen und Theaterstücken aufklären
Mit seinem unverkennbaren Markenzeichen, der roten Mütze, führt Patrick die Gruppe um Matthews, Jonathan und ein paar andere Jungen an. Sie gehen einen Weg zwischen Wiesen und kleinen Backsteinhäusern entlang. Sie wollen zeigen, wie der Club arbeitet.
„Nach einer Sitzung, die wir zweimal pro Woche abhalten, wählen wir einige junge Leute aus, die eine Familie besuchen“, erklärt Patrick. So kommen sie mit den Menschen in ihrer Gemeinde direkt ins Gespräch und können ihnen die negativen Folgen der Kinderheirat erklären. Dieses Mal gehen sie nicht weit, bevor sie vor der Haustür einer Familie landen, der sie schon einmal geholfen haben.
An anderen Tagen führen die Jungen auch kleine Theaterstücke in ihrer Gemeinde auf, um zu veranschaulichen, was sie im Club lernen. Darüber hinaus überwachen sie die Schulen und führen Gespräche mit der Schulleitung, um ein sicheres Umfeld zu schaffen. Mädchen, die nach ihrer Heirat oder Schwangerschaft in die Schule zurückkehren, werden oft schikaniert. Solche Vorfälle will der Club minimieren.


Der harte Weg aus der Kinderehe
Vor dem Haus, an dem die „Champions of Change“ nun angekommen sind, sitzt eine junge Frau auf einer Strohmatte auf dem Boden. Es ist Lines und sie hält ein Bündel im Arm. Lines ist eines der Mädchen, die der Club unterstützt. Die Tochter, die sie trägt, ist erst wenige Monate alt.
Nachdem sie jung geheiratet hatte, brach Lines die Schule ab, als sie im dritten Monat schwanger war. Die Ehe stellte das Mädchen außerdem vor ungeahnte Schwierigkeiten. Sie musste sich plötzlich Gedanken machen, woher sie Nahrung und Geld bekommen sollte. „Ich musste arbeiten, um das Essen zu bezahlen und Geld für unsere täglichen Bedürfnisse zu verdienen“, erinnert sie sich.
„Ich wünsche mir, dass jeder erkennt, wie wichtig die Bildung von Mädchen ist.“

Ihr Traum, Krankenschwester zu werden, ließ sie aber nie ganz los. Also las sie still zu Hause weiter Bücher und sehnte sich danach, wieder zur Schule zu gehen. Erst als sich der Club einschaltete, bot sich für Lines ein Ausweg. „Sie ermutigten mich, wieder zurück zur Schule zu gehen“, sagt die 18-Jährige. Mit der Hilfe der Clubmitglieder wagte sie schließlich den Schritt, zusammen mit ihrer kleinen Tochter die Ehe zu verlassen und in das Haus ihrer Mutter zurückzukehren, wo sie mit offenen Armen empfangen wurde.
Inzwischen hat Lines wieder einen festen Plan für die Zukunft: Sie will die Schule zu Ende machen, wenn ihr Kind ein wenig älter ist, und endlich die Ausbildung zur Krankenschwester beginnen. Ihre Mutter Madalitso hat sich bereit erklärt, sich um ihre Tochter zu kümmern.
Die „Champions of Change“ spielen weiterhin eine wichtige Rolle im Leben der beiden Frauen. „Ich bin sehr beeindruckt von all den Aktivitäten, die sie anbieten“, sagt Madalitso. „Drei meiner Kinder sind jetzt Mitglieder und lernen viel über ihre Rechte.“ Sie sieht in dem Club einen wichtigen Ankerpunkt für junge Menschen, die sich mit komplexen Entscheidungen in ihrer Gemeinde auseinandersetzen müssen.
„Wir sind Vorbilder für junge Menschen“
Patrick wischt sich unter seiner Mütze den Schweiß von der Stirn. Seine Rundgänge durch das Dorf sind voll von Begegnungen, Meinungen und Eindrücken. Aber er hat begonnen, Veränderungen in der lokalen Gemeinschaft zu bemerken, nach all den Anstrengungen, die sie unternommen haben.
Er erzählt, dass die jungen Menschen lernen, ihr Verhalten besser zu reflektieren und schädliche kulturelle Normen infrage zu stellen. „Wir sind zu Vorbildern für andere junge Menschen in der Gemeinde geworden. Sowohl Jungen als auch Mädchen“, resümiert der 25-Jährige stolz. „Sie wollen so sein wie wir und sich uns im Kampf gegen kulturelle Tabus anschließen.“ Das war aber nicht immer so.
Anfangs hielt sich das Interesse für die „Champions of Change“-Clubs in Patricks Dorf in Grenzen. Seitdem der engagierte junge Mann aber die Jungen durch Aktivitäten wie Fußball oder Volleyball begeistert, hat sich das Blatt gewendet. Dank seiner Bemühungen hat sich die Mitgliederzahl des Clubs von 15 auf über 30 verdoppelt.
Patrick ist glücklich über diesen Erfolg. Seine nächste Mission ist es, eine aufgeklärte Gemeinschaft aufzubauen. „Mein Traum für die Zukunft ist, dass jeder erkennt, wie wichtig die Bildung von Mädchen ist“, betont er. Als ein dauerhaftes Vorbild für Veränderungen will er dazu seinen Teil beitragen.
Die Geschichte von Patrick und seinen „Champions of Change“ wurde mit Material aus dem malawischen Plan-Büro erstellt.
