Als die Kindheit zu Ende war
Das Zimmer riecht nach Rauch und Erde. Jen* wiegt ihre Tochter im Arm, während hinter ihr das Knistern der Holzkohle zu hören ist. Sie ist 18 Jahre alt und Mutter. Drei Jahre zuvor, als sie gerade einmal 15 war, packte sie ihre Sachen und zog zu ihrem Partner. Heute weiß sie: es war der Moment, in dem ihre Kindheit endete. Die kleine Familie lebt inzwischen zusammen mit Jens Eltern und ihren drei Geschwistern in der Küstenprovinz Manabí in Ecuador, in einem einfachen Haus aus Holz und Wellblech. Ihr Vater verdient etwas Geld mit der Herstellung von Holzkohlebriketts, die Mutter kümmert sich um die Tiere. „Am liebsten möchte ich wieder zur Schule gehen“, sagt Jen.
*Name zum Schutz der Identität geändert
„Ich glaubte, geliebt zu werden, dabei kannte ich nicht einmal die Bedeutung von Liebe.“
Wenn die Kindheit zur Ehe wird
Jen war 13, als sie ihren späteren Partner kennenlernte. Sie waren Nachbarn. „Meine Eltern mochten ihn nicht, weil er älter war“, erzählt sie. Als die Spannungen zu Hause zunahmen, entschied sie sich, zu seiner Familie zu ziehen.
Dort erwartete sie ein Leben voller Pflichten. Kochen. Putzen. Sich um alle kümmern. „Ich war noch ein Kind, aber sie sahen mich schon als Frau“, sagt sie. Mit 17 wurde sie schwanger und musste die Schule abbrechen. Heute versucht sie, den Unterricht nachzuholen – in den wenigen Stunden, in denen ihr Partner nicht arbeitet und sie sich eine Pause vom Alltag als Fahrer gönnen kann.
„Es war eine impulsive Entscheidung einer 15-Jährigen, die nichts vom Leben wusste.“
Zwischen Tradition und Gesetz
In Ecuador hält sich die Tradition der frühen Ehen hartnäckig, vor allem auf dem Land. In ärmeren Gemeinden gelten sie oft als Lösung für familiäre Konflikte oder finanzielle Sorgen. Wenn eine Tochter „versorgt“ ist, gilt das als Entlastung für ihre Familie. Doch diese vermeintliche Sicherheit hat einen hohen Preis: Mädchen verlieren ihre Unabhängigkeit, ihre Bildungschancen und damit ihre Zukunft.
In der Provinz Manabí ist die Zahl der frühen Schwangerschaften bei Mädchen zwischen 10 und 14 Jahren besonders hoch. Jede dieser Schwangerschaften drängt Mädchen zu früh in Erwachsenenrolle. Denn frühe Partnerschaften entstehen selten aus freier Wahl: Armut, fehlende Aufklärung und gesellschaftliche Erwartungen schaffen ein Umfeld, in dem Mädchen kaum Alternativen sehen.
Bildung als Schlüssel
Um auf ihrem Weg zur Selbstbestimmtheit etwas Unterstützung zu bekommen, nimmt Jen an einem Programm von Plan International teil, das Mädchen in Ecuador unterstützt, ihre Rechte zu kennen und ihre Ausbildung fortzusetzen, auch wenn sie bereits Kinder haben. Im Rahmen des Projekts besucht sie Workshops, in denen Themen wie sexuelle und reproduktive Gesundheit, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung behandelt werden. Mentorinnen begleiten sie individuell, beraten sie bei Fragen rund um Teenagerschwangerschaften und helfen, Lösungen für familiäre Konflikte zu finden. Gleichzeitig werden Eltern und Familien in den Dialog einbezogen, um traditionelle Rollenbilder zu hinterfragen. Ziel des Programms ist es, Mädchen wie Jen nicht nur kurzfristig zu unterstützen, sondern ihnen die Mittel und das Selbstvertrauen zu geben, ihre Zukunft eigenständig zu gestalten.
Was Veränderung bedeutet
„Ich will unbedingt studieren, auch wenn ich mein Kind zur Universität mitnehmen muss“, sagt Jen entschlossen. Ihr Traum ist es, einen Beruf zu finden, der ihr ein eigenes Einkommen ermöglicht.
Wenn sie heute auf ihr jüngeres Ich zurückblickt, sieht sie ein 15-Jähriges Mädchen, das glaubte, Liebe bedeute Absicherung. Heute weiß sie, dass der Weg zur Selbstbestimmung ein ganzes Stück Arbeit bedeutet – jeden Tag aufs Neue. Wenn Jen ihre Tochter ansieht, denkt sie bereits an die Zukunft der Kleinen: „Ich will, dass sie lernt und dass sie frei ist, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen."
Die Geschichte von Jen wurde mit Material als dem ecuadorianischen Plan-Büro aufgeschrieben.