Nahost-Konflikt: Auf der Seite der Kinder
„Die Lage für Kinder in Gaza ist katastrophal“, beginnt Charlotte Kneffel, Expertin für humanitäre Hilfe bei Plan International Deutschland, das Gespräch. „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll: Seit Beginn der Eskalation können Kinder nicht mehr zur Schule gehen. Der Zugang zu Trinkwasser ist ein riesiges Thema. Hunger ist ein riesiges Thema: Mehr als 100 Kinder sind bereits verhungert, unzählige mehr leiden unter Mangelernährung. Die medizinische Versorgung ist unzureichend. Zudem haben rund 44.000 Kinder einen oder beide Elternteile verloren. Sie benötigen dringend psychosoziale Unterstützung und Schutz. Doch es fehlt einfach an allem.“
„Kinder benötigen dringend psychosoziale Unterstützung und Schutz.“
Nahrung, Bildung und Schutz für Kinder in Gaza
Plan International ist seit dem 7. Oktober 2023 im Einsatz, um humanitäre Nothilfe in Gaza zu leisten. Doch der Zugang für Hilfsorganisationen wird systematisch blockiert. „Wir stehen an den Grenzen in Jordanien und Ägypten bereit, um dringend benötigte Hilfsgüter ins Land zu bringen“, berichtet Charlotte Kneffel. „Unsere Lagerhäuser sind gefüllt mit lebenswichtigen Nahrungsmitteln, Trinkwasser, Hygieneartikeln und mehr. Doch humanitären Organisationen wie uns wird der Zugang verwehrt. Schätzungsweise 600 Lastwagen am Tag wären nötig, um die Bevölkerung in Gaza ausreichend zu versorgen. Aktuell werden jedoch gerade mal ein Bruchteil davon über die Grenze gelassen. An einigen Tagen sogar kein einziger.“
„Die Mitarbeiter:innen unserer Partnerorganisationen vor Ort leisten in dieser Situation Unvorstellbares“, ergänzt sie. „Viele von ihnen sind selbst geflüchtet, leben zum Teil in Zelten und haben nicht genug zu essen. Trotzdem geben sie seit Ausbruch des Krieges alles: Als eine von wenigen Organisationen konnte Plan International Ende Juli zehn Lastwagen mit Hilfsgütern ins Kriegsgebiet bringen – trotz der anhaltenden Blockade. Innerhalb von drei Wochen ist es so gelungen, mehr als 97.600 Menschen mit Nahrungsmitteln, warmen Mahlzeiten und Trinkwasser zu versorgen. Außerdem haben wir lokale Organisationen dabei unterstützt, temporäre Lernorte für Kinder zu errichten. Damit sie trotz Krieg einen Ort der Normalität und Raum zum Spielen und Lernen haben.“
„Wir fordern uneingeschränkten Zugang für humanitäre Hilfe sowie einen dauerhaften Waffenstillstand.“
Die Humanitäre Perspektive sichtbar machen
In Deutschland arbeitet Plan International auf politischer Ebene daran, die Situation für Kinder und ihre Familien zu verbessern. „Als humanitäre Organisation stellen wir uns nicht auf die Seite einer Kriegspartei“, betont Charlotte Kneffel. „Vielmehr fordern wir von allen Parteien die Einhaltung des humanitären Völkerrechts und den Schutz der Zivilbevölkerung. Dazu gehört, dass die betroffene Zivilbevölkerung mit humanitärer Hilfe erreicht werden kann. Das ist gerade nicht gegeben. Im Gegenteil: Sie wird aktiv behindert. Wir versuchen deshalb, die humanitäre Perspektive sichtbar und laut zu machen. Wir fordern uneingeschränkten Zugang für humanitäre Hilfe sowie einen dauerhaften Waffenstillstand.“
Den politischen Diskurs beeinflussen
„Von der Bundesregierung fordern wir, mehr Druck auf die israelische Regierung auszuüben, damit diese das humanitäre Völkerrecht einhält und völkerrechtswidrige Pläne von Vertreibung und Annexion verhindert“, erklärt Charlotte Kneffel weiter. „Dazu sprechen wir immer wieder mit Bundestagsabgeordneten und ihren Mitarbeitenden, mit dem Auswärtigen Amt oder auch Journalist:innen. Vor allem unsere Lageberichte sind für die Politiker:innen wichtig, da unsere Kolleg:innen in der Region aus erster Hand berichten können, wie die Situation vor Ort ist. Wir liefern Informationen und Argumente für die Bundestagsdebatten. Gleichzeitig haben wir so die Möglichkeit, unsere Forderungen zu platzieren, den Diskurs zu beeinflussen und deutlich zu machen, was wir brauchen, um Hilfe leisten zu können. Uns ist dabei schmerzlich bewusst, dass der Einfluss der Bundesregierung begrenzt ist. Doch es gibt immerhin kleine Erfolge zu verzeichnen: So hat Friedrich Merz eine unserer Forderungen zum Stopp von Waffenlieferungen umgesetzt. Wir machen weiter und geben nicht auf – denn die Zukunft der Kinder in Gaza steht auf dem Spiel.“
Hinweis: Dieser Artikel erschien im November 2025 auch im gedruckten Magazin der Stiftung Hilfe mit Plan. Sie können die StiftungsPost 02/25 hier herunterladen. Das Gespräch mit Charlotte Kneffel führten wir bereits Anfang September. Seither gab es einige Bewegung in dem Konflikt: Eine Waffenruhe wurde ausgehandelt und es gelangen mehr Hilfsgüter nach Gaza, auch von Plan International. Doch diese reichen nach wie vor nicht annähernd aus, um den Bedarf der Menschen zu decken. Mehr Hilfe wird dringend benötigt.