Gleichberechtigung auf dem Spielfeld
Ein schriller Pfiff schallt durch die heiße nachmittägliche Luft von Kankan, Guinea. Kinder jubeln am Spielfeldrand, Fußballspielende rufen durcheinander. In der Mitte steht Yawa, 21 Jahre alt, die Pfeife fest zwischen die Finger geklemmt. Sie hebt die Hand, deutet weiterzuspielen. Für sie ist das kein gewöhnliches Match. Jeder Pfiff ist ein Schritt hin zu mehr Chancengleichheit auf und neben dem Platz.
In einem Land, in dem Mädchen oft früh heiraten und Bildung für viele unerreichbar bleibt, hat Yawa etwas geschafft, das lange undenkbar war: Sie ist Fußballschiedsrichterin. Und sie verändert mit ihrer Geschichte, wie ihre Gemeinde über Frauen im Sport denkt.
„Ich hatte Angst, meinen Traum zu verlieren. Mädchen hatten in meinem Dorf nichts auf dem Fußballplatz zu suchen.“
Aufwachsen zwischen Tradition und Aufbruch
Yawa wuchs in einem kleinen Dorf im Osten Guineas auf. Ihre Eltern leben von der Landwirtschaft, die Familie zählt sieben Kinder. Bildung war nie selbstverständlich – und für Mädchen erst recht nicht. Von ihnen wurde erwartet, im Haushalt zu helfen, Wasser zu holen, zu kochen. Viele von Yawas Freundinnen verließen die Schule früh, manche wurden jung verheiratet.
Als Plan International gemeinsam mit der Gemeinde Projekte zu Bildung, Gesundheit und sauberem Wasser aufbaute, änderte sich schrittweise etwas. Mädchen sollten wieder lernen und in der Schule bleiben dürfen. Für Yawa bedeutete das: Unterricht statt Hausarbeit, Schulbank statt Feldarbeit.
Guinea – Land der Gegensätze
Guinea gehört zu den rohstoffreichsten Ländern Westafrikas. Doch viele Familien leben von dem, was ihre Felder hergeben. Die ungleiche Verteilung von Ressourcen ist kein Zufall: Wie viele andere Staaten der Region trägt auch Guinea bis heute die Folgen seiner kolonialen Vergangenheit. Unter französischer Herrschaft wurden wirtschaftliche Strukturen geschaffen, in denen Rohstoffe exportiert werden, aber Bildung und Infrastruktur vernachlässigt – ein Erbe, das soziale Ungleichheiten bis in die Gegenwart prägt.
In ländlichen Regionen bleibt Bildung deshalb oft ein Privileg, das nicht alle Kinder erreicht. Besonders Mädchen sind im Nachteil: Laut UNICEF besucht weniger als die Hälfte der Mädchen in Guinea im Sekundarschulalter regelmäßig die Schule. Frühehen, fehlende sanitäre Einrichtungen und gesellschaftliche Erwartungen führen dazu, dass viele bereits im jungen Teenageralter zu Hause bleiben.
Bildung als Wendepunkt
Das Programm von Plan International ist so konzipiert, dass es an bestehende Initiativen, die Mädchen und Jungen gleiche Chancen geben wollen, anknüpft. So entsteht Wandel aus der Gemeinschaft heraus.
Für Yawa wurde die Chance auf Bildung zur Brücke zwischen Tradition und Zukunft. In der Schule entdeckte sie ihre Leidenschaft für Geschichte, Geografie und den Sport. Besonders Fußball faszinierte sie. Sie war ehrgeizig, schnell und genau. Doch als sie sagte, sie wolle Schiedsrichterin werden, reagierten viele mit Spott.
„Ich wollte nicht, dass die Zweifel anderer Leute zu meinen Grenzen werden.“
Als 2024 das Programm „Gender Transforming Football“ (Fußball, der Geschlechterrollen verändert) startete, meldete sich Yawa sofort an. Es sollte Mädchen ermutigen, Führungsrollen im Sport zu übernehmen – als Spielerinnen, Trainerinnen oder Schiedsrichterinnen. Yawa war die einzige Frau in ihrer Ausbildungsgruppe.
„Am Anfang fühlte ich mich allein“, sagt sie. „Aber irgendwann merkte ich: Ich kann das genauso wie die Männer.“ Sie lernte Regelkunde, Spielleitung, Konfliktmanagement. Die Ausbildung vermittelte technisches Wissen, aber auch Selbstbewusstsein – und den Mut, gegen Erwartung zu pfeifen.
Wenn Fußball zum Lernraum wird
Das Programm verfolgt einen ungewöhnlichen Ansatz: In Trainingsspielen müssen Jungen mit verschränkten Armen antreten. Eine simple Regel, die viel bewirkt. Sie macht erfahrbar, wie es ist, mit Einschränkungen umzugehen – etwas, das viele Mädchen aus ihrem Alltag kennen. Zudem übernehmen Mädchen Rollen, die traditionell Männern vorbehalten sind: Sie leiten Spiele, berichten in Schulradios und organisieren Turniere. So wird Fußball zum Lernraum für Fairness, Selbstvertrauen und Teamgeist.
Seit Beginn des Projekts wurden über 8.000 Schüler:innen erreicht, darunter auch Jugendliche mit Behinderungen. Lehrkräfte berichten von wachsendem Selbstvertrauen bei Mädchen, Eltern von neuem Stolz. Auf dem Platz verschwimmen Grenzen, die früher starr wirkten. „Man sieht, wie die Kinder voneinander lernen“, sagt ein Sportlehrer aus Kankan. „Wenn Mädchen pfeifen, hören die Jungs zu. Das verändert etwas.“
„Es geht nicht darum, wer stärker ist. Es geht darum, dass alle die Chance bekommen, zu zeigen, was in ihnen steckt.“
Ein anderes Rollenbild
Heute studiert Yawa Geschichte an der Universität von Kankan – als erste Frau aus ihrer Gemeinde. Nach den Vorlesungen zieht sie ihr Schiedsrichtertrikot über, pfeift Jugendspiele und leitet Schulturniere. Manchmal spricht sie dort mit Mädchen, die noch unsicher sind, ob sie weitermachen sollen. „Ich will, dass Mädchen in Guinea frei entscheiden können, was sie werden möchten“, sagt sie.
Ihre Präsenz auf dem Platz hat Wirkung: Immer mehr Mädchen melden sich zu Schiedsrichterkursen an. Für viele in der Gemeinde ist Yawa heute ein Vorbild, weil sie zeigt, was möglich wird, wenn Chancen gerecht verteilt sind. Yawa möchte eines Tages Historikerin werden und weiterhin Fußballspiele pfeifen. Sie will ihre Geschichte erzählen und dabei zeigen, dass Wandel kein Zufall ist.
Die Geschichte von Yawa wurde mit Material aus dem guineischen Plan-Büro aufgeschrieben.