
Mädchen brechen das Schweigen
„Ich hatte Angst und schämte mich. Niemand hatte mit mir darüber gesprochen.“ So oder so ähnlich beschreiben viele Mädchen weltweit ihre erste Periode. Auch die 17-jährige Camila.
Sie lebt in einer kleinen indigenen Gemeinde in San Pedro, einer Region im Osten Paraguays. Sie wusste – wie so viele in ihrem Bekanntenkreis – kaum etwas über die Menstruation und wie sich der weibliche Körper auf dem Weg zum Erwachsenwerden verändert. Der Grund dafür: Überall auf der Welt ist das Thema noch immer schambehaftet, tabuisiert oder verpönt.

Camila – unvorbereitet ins kalte Wasser geworfen
Zu Camilas täglicher Routine gehört es, ihrer Mutter bei den Hausarbeiten zu helfen und danach zur Schule zu gehen. Allerdings bereitet ihr die prekäre Versorgungslage in ihrem Dorf einige Probleme. „Wir haben seit über einer Woche kein Wasser mehr“, erklärt sie. Um sich zu waschen, muss das Mädchen deshalb zum Haus ihrer Schwester gehen. Für sie ist das Alltag, aber es zeigt, wie schwierig es in manchen Regionen sein kann, grundlegende Bedürfnisse wie Hygiene zu befriedigen.
Ihre erste Periode bekam sie mit 12 Jahren – unvorbereitet und ohne zu wissen, was gerade mit ihrem Körper passierte. Camila hatte nie mit ihrer Mutter oder in der Schule über die Menstruation gesprochen und schämte sich, das Thema offen anzusprechen. Verzweifelt vertraute sie sich schließlich ihrer jüngeren Nichte an, die sie beruhigte und ihr Mut machte, mit ihrer Mutter zu reden. Dieser kleine Vertrauensbeweis war für Camila ein Wendepunkt.
„Ich sehe viele Mädchen, die immer noch Scham empfinden – so wie ich einst.“
Luz – mit offener Kommunikation zu mehr Verständnis
Luz war erst neun Jahre alt, als ihre Menstruation einsetzte. Anders als Camila wusste sie aber ganz genau, was auf sie zukommt. Liebevolle und ehrliche Gespräche mit ihrer Mutter waren für die heute 13-Jährige ganz selbstverständlich. Als Luz ihre erste Periode bekam, war sie daher weder verwirrt noch verängstigt, denn ihre Mutter hatte ihr versichert, es sei ein ganz normaler Teil des Frau-Seins. „Ich behielt die Kontrolle, weil ich wusste, dass es jederzeit passieren konnte“, sagt sie.
Da Luz eine der ersten ihrer Freundinnen war, die ihre Periode bekam, wurde sie zur Vertrauensperson für andere Mädchen aus ihrer Gemeinde. Wenn ihre Freundinnen Angst hatten und nicht wussten, was sie tun sollten, hörte Luz ihnen zu, erzählte von ihren eigenen Erfahrungen und ermutigte sie, mit ihren Müttern oder Großmüttern zu sprechen.


Das Schweigen brechen
Aus eigener Erfahrung weiß Camila, welche Wirkung solche Ermutigungen haben können. Inzwischen sprechen sie und ihre Mutter offen über den weiblichen Körper, den Menstruationszyklus und Selbstfürsorge. „Ich fühle mich nicht mehr unwohl”, sagt Camila. „Aber ich sehe viele Mädchen, die immer noch Scham empfinden – so wie ich einst.”
Selbst bei ihrer Mutter Santa haben die Gespräche ein Umdenken bewirkt und sie merkte, dass die Scham, die ihre Erziehung ihr vermittelt hatte, unbegründet war. Sie wuchs mit den Vorstellungen auf, die Menstruation sei „schmutzig“ und Frauen sollten während ihrer Periode weder ihre Haare waschen noch Sport machen. Nun weiß sie, dass sie offen mit ihrer Tochter sprechen muss, um ihr das Selbstvertrauen zu geben, richtig mit ihrer Menstruation umzugehen.
„Wir müssen keine Scham empfinden. Wir müssen nur den Mund aufmachen, Fragen stellen und Vertrauen haben.“
Aufklärung, die die ganze Gemeinde miteinbezieht
Auch Luz fällt es manchmal noch schwer, über die Periode zu sprechen. Doch sie ist fest entschlossen, diese Hemmschwelle zu überwinden. Denn sie hat erkannt, dass jedes Mal, wenn sie sich zu Wort meldet, ein bisschen mehr von der erlernten Scham schwindet. Dieser Wandel macht sich auch langsam in der Gesellschaft breit. An ihrer Schule sprechen die Lehrkräfte inzwischen offen über die Menstruation und beziehen auch Jungen in das Gespräch mit ein. Sie hören zu, stellen Fragen und lernen, dass ihre Schwestern, Cousinen und Freundinnen dieselben Veränderungen durchmachen.

Luz erinnert sich auch an einen von Plan International organisierten Gemeinschaftsworkshop, an dem Mädchen und Jungen gemeinsam über Menstruationshygiene und Frauenrechte diskutierten. „Dieser Tag hat vieles verändert“, blickt sie zurück. „Wir begannen alle, die Menstruation als einen natürlichen Prozess zu betrachten.“
Ein neues Gesetz ebnet den Weg für eine gerechtere Gesellschaft
Im März 2025 verabschiedete Paraguay zudem ein Gesetz, dass den gesellschaftlichen Umgang mit der Menstruation normalisieren und Menstruationsprodukte zugänglicher machen soll.
Zu den Maßnahmen gehören unter anderem kostenlose Binden und Tampons in öffentlichen Schulen und Einrichtungen sowie Kampagnen gegen die gesellschaftliche Stigmatisierung.
Für die Mädchen und Frauen ist das ein wichtiger Meilenstein – garantiert er ihnen doch, dass ihre sexuellen und reproduktiven Rechte in Zukunft ernst genommen und gestärkt werden.
Erwachsenwerden bedeutet, Dinge zu hinterfragen
Die Workshops von Plan International unterstützen diese Entwicklung und tragen zusätzliches Wissen und Selbstvertrauen in die Regionen. Auch Camila haben sie ermutigt, das Gelernte mit ihren Freundinnen, Nichten und Cousinen zu teilen. „Schämt euch nicht“, sagt sie ihnen. „Sprecht mit euren Müttern und stellt Fragen.“ Luz ergänzt selbstsicher: „Wir müssen keine Scham empfinden. Wir müssen nur den Mund aufmachen und Vertrauen haben.“ Die beiden Mädchen wissen, dass in Zukunft noch viele Herausforderungen auf sie warten werden. Aber eines haben sie verstanden: Erwachsenwerden bedeutet, Dinge zu hinterfragen.
Die Geschichte von Luz, Camila und Santa wurde mit Material aus dem Plan-Büro in Paraguay aufgeschrieben.