Kinderschutzbündnis legt Bericht über Gefahren für Kinder vor

Foto: Wahid Zaman Shithi

Mädchen und Jungen auf der Flucht vor Gewalt und Ausbeutung zu schützen – das haben sich die sechs größten Kinderschutzorganisationen der Welt vorgenommen. Die „Joining Forces“ stellen die Ergebnisse einer Untersuchung der Situation in zwei Projektländern vor.

Sechs Länder, 260.000 Kinder, 16 Millionen Euro – die Dimensionen des internationalen Projektes „Joining Forces - Schutz von Kindern in Not“ sind enorm. Und auch das Ziel der „Joining Forces“, dem Zusammenschluss der sechs größten Kinderschutzorganisationen der Welt, ist gewaltig: Mädchen und Jungen vor Gewalt und Ausbeutung auf der Flucht zu schützen.

Damit das gelingen kann, hat das Bündnis in den Projektländern Äthiopien, Bangladesch, Burkina Faso, Kolumbien, Südsudan und der Zentralafrikanischen Republik untersucht, in welcher Lage sich die Betroffenen dort jeweils befinden und welche passenden Maßnahmen durchgeführt werden sollen.

Finanziert wird das Vorhaben vom Auswärtigen Amt (AA). Neben Plan International Deutschland gehören ChildFund Deutschland, Save the Children, SOS-Kinderdörfer weltweit, terre des hommes und World Vision dem Schutzbündnis an. Nahezu 17.000 Menschen, darunter Kinder und Jugendliche, deren Betreuer:innen sowie Gemeindemitglieder sind für den Bericht befragt worden. Plan International ist in Bangladesch mit World Vision sowie in der Zentralafrikanischen Republik mit SOS-Kinderdörfer weltweit aktiv.

Zwei Kinder sitzen in einem Hauseingang
Kalima (6) und Habiba (4) leben mit ihrer Familie im Rohingya-Geflüchtetencamp in Cox's Bazar im Süden von Bangladesch Wahid Zaman Shithi

Die Lage in Bangladesch

Für Bangladesch, wo sich die Unterstützung auf Rohingya-Geflüchtete im Bezirk Cox's Bazar nahe der Grenze zu Myanmar konzentriert, hat die Befragung folgende Lage ergeben: Die Rohingya sind in Myanmar seit Jahrzehnten mit Diskriminierung, Staatenlosigkeit und Gewalt konfrontiert. Nach Angaben des Amtes für die Koordinierung Humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (UN-OCHA) sind seit 2017 mehr als 773.000 Rohingya – darunter mehr als 400.000 Kinder – nach Cox's Bazar geflohen. Weiter heißt es in dem UN-Bericht, dass mehr als 943.000 Rohingya (Stand: Oktober 2022) in Ukhiya und Teknaf leben, in der Regel in extrem überfüllten Camps, in Armut und unter lebensgefährlichen Umständen. Ihre Lage ist als äußerst ernst zu beschreiben. Hinzu kommt ihre schwierige politische Situation als staatenlose Geflüchtete.

Die drei häufigsten Kinderschutzrisiken, die Plan International Bangladesch feststellte, sind Vernachlässigung, Kinderheirat und innerfamiliäre Konflikte. Die Geflüchtetencamps sind besonders gefährliche Orte für Minderjährige. Insgesamt stellt Armut eine große Gefahr für das Kindeswohl dar. Die Daten deuten darauf hin, dass dadurch auch innerfamiliäre Konflikte verschärft werden. Die Teilnehmer:innen berichten von Fällen von Gewalt gegen Kinder, etwa Entführung und Menschenhandel. Hinzu kommt die alltägliche Gewalt zwischen verschiedenen Camp-Mitgliedern sowie Mobbing und Belästigung.

Armut ist auch ein Hauptgrund für Kinderarbeit in den Camps, von der hauptsächlich Jungen betroffen sind. So wird von Zehnjährigen oft erwartet, dass sie Geld verdienen und zum Familieneinkommen beitragen. Kinderarbeit in Lagern für geflüchtete Menschen ist generell schlecht bezahlt und ausbeuterisch. Mädchen helfen dagegen vielfach in ihren Haushalten. Der Druck, zum Familieneinkommen beizutragen führt auch dazu, dass Eltern ihren Kindern verbieten, die Schule zu besuchen oder zu spielen. Damit liegt eine Missachtung der UN-Kinderschutzkonvention vor.

Ein Mädchen trägt ein Tuch über dem Kopf, es schaut nach unten, die Augen werden von dem Tuch verdeckt und das Mädchen ist nicht zu erkennen
Die 13-jährige Parmin (Name geändert) floh mit ihrer Großmutter 2017 aus Myanmar und lebt seitdem mit ihr in Cox's Bazar. Vor einem Jahr wollte ihre Großmutter sie mit ihrem Nachbarn im Camp verheiraten, doch Parmin konnte ihre Kinderehe verhindern Mushfiqul Alam

Die Umfrage hat ergeben, dass gerade Rohingya-Kinder häufig von Zwangsverheiratung betroffen sind – in erster Linie Mädchen. Das betrifft sowohl Familien in den Camps als auch in den Aufnahmegemeinschaften. Damit verbunden ist die Hoffnung der Eltern, die Armut zu lindern sowie sich im Gastland besser zu integrieren. All das findet laut den beratenden Forscher:innen in einem Umfeld statt, das von konservativen religiösen Praktiken der Rohingya-Gemeinschaft geprägt ist.

Weiter wurde festgestellt, dass Diskriminierung von Kindern mit Behinderung weit verbreitet ist. Es besteht ein erheblicher Mangel an behindertengerechter Infrastruktur, Dienstleistungen sowie Hilfsmitteln für Kinder mit Behinderungen. Diese Einschränkungen gehen Hand in Hand mit einem allgemeinen Mangel an Wissen über Behinderungen und einer unzureichenden Vertretung, die zu einer besseren Unterstützung und einem besseren Verständnis beitragen könnte.

Empfehlungen für Bangladesch

Die Rohingya-Geflüchtetenkrise wird für Plan International und World Vision auch in absehbarer Zukunft die größte Herausforderung für den Kinderschutz in Bangladesch darstellen. Der Fokus dieser Krise wird sich zunehmend auf die Integration der Rohingya und ihre sichere Rückkehr nach Myanmar richten. Es ist jedoch unklar, wann dies erreicht werden kann.

Die Ergebnisse dieser Bedarfsanalyse haben gezeigt, dass Kinderheirat eines der größten Risiken für Mädchen in den Lagern für Rohingya- sowie den Aufnahmegemeinschaften darstellt. Es ist notwendig, die materiellen Bedingungen in den Lagern deutlich zu verbessern, die kulturelle Bedeutung und die wirtschaftlichen Strukturen besser zu verstehen, die die Kinderheirat für Rohingya-Familien attraktiv oder vorteilhaft erscheinen lassen. Ohne sinnvolle und praktische Alternativen bleiben diese Kernprobleme bestehen. 

Darüber hinaus verschlimmern Luft- und Wasserverschmutzung die Lebensbedingungen der Geflüchteten in den Lagern. Es ist daher ratsam, Umweltfragen bei Kinderschutzmaßnahmen stärker zu berücksichtigen.

Zwei Jungen laufen eine Schotterstraße entlang, sie sind von hinten zu sehen, einer hält eine Blechschüssel in der Hand
In der Zentralafrikanischen Republik ist Armut allgegenwärtig, die Sicherheit im Land ist stark beeinträchtigt – Kinder werden häufig vernachlässigt und sind auf sich allein gestellt Ina Thiam

Die Lage in der Zentralafrikanischen Republik

Plan International arbeitet im Osten des Landes und konzentriert sich auf den Schutz von Kindern insbesondere vor geschlechtsspezifischer Gewalt in mehreren Gemeinden der Präfektur Haute Kotto sowie in Camps für vertriebene Menschen. Die SOS-Kinderdörfer arbeiten in und um die Region Bossangoa, nördlich der Hauptstadt Bangui. Die drei häufigsten Kinderschutzrisiken, die Plan International in der Zentralafrikanischen Republik feststellt, sind Vernachlässigung, Gewalt und Kinderheirat.

Die Armut im Land ist allgegenwärtig, Gewalt weit verbreitet. Der Zusammenbruch der Infrastruktur und die eingeschränkte Kontrolle durch die Regierung im Land haben die Grundversorgung, die Programme sowie die allgemeine Sicherheit stark beeinträchtigt. Gesundheit, Hygiene und sanitäre Einrichtungen in den Programmgebieten sind prekär. Auch die Ernährungssicherheit ist beeinträchtigt.

Insgesamt sind körperliche und sexuelle Gewalt gegen Kinder, Kinderheirat, Kinderarbeit und Geschlechterungleichheit im ganzen Land weit verbreitet. Es gibt zudem keine sicheren Orte für Kinder mit Behinderungen. Es fehlt generell an Infrastruktur und Bewusstsein für diese Menschen. Dabei wurden Behinderungen, in der Regel der Verlust eines Körperteils als Folge der bewaffneten Kämpfe im Land, in den Befragungen immer wieder erwähnt.

„Insgesamt sind körperliche und sexuelle Gewalt gegen Kinder, Kinderheirat, Kinderarbeit und Geschlechterungleichheit im ganzen Land weit verbreitet.“

Erkenntnisse aus der „Joining Forces“-Untersuchung in der Zentralafrikanischen Republik

Vernachlässigung (fehlende Bildung, medizinische und emotionale Betreuung), innerfamiliäre Konflikte, Gewalt gegen Kinder und Kinderheirat betreffen die Mädchen und Jungen, die von Plan International und SOS-Kinderdörfer weltweit betreut werden. Die Fachleute vor Ort gehen davon aus, dass der langjährige Krieg, die angespannte wirtschaftliche Lage und der konfliktbedingte Stress die Situation verschärfen und regelmäßig zu vermehrter Gewalt sowie Vernachlässigung gegen Kindern führen. Der Kindesmissbrauch wird zudem dadurch begünstigt, dass es als legitim angesehen wird, dass Eltern und Erwachsene Kinder bestrafen können – und sogar sollten.

Diese Vorkommnisse häufen sich in den Camps für geflüchtete Menschen, wo Kinder oft nicht in der Obhut ihrer Eltern, sondern unter der Aufsicht anderer Verwandter leben. Es ist üblich, dass Minderjährige auf sich selbst aufpassen müssen. Vor allem von Jungen wird erwartet, dass sie ab dem Alter von 15 oder 16 Jahren für ihre Familien sorgen. Die Folge: Kinderarbeit.

Ein Junge trägt eine große Schüssel auf dem Kopf
Kinderarbeit in der Zentralafrikanischen Republik: In den untersuchten Gebieten wird vor allem von Jungen erwartet, dass sie für ihre Familien sorgen Ina Thiam

Besonders Jungen werden beim Diamantenabbau missbräuchlich eingesetzt. Schulschließungen und die wirtschaftliche Verschlechterung haben dazu beigetragen, dass die Kinderarbeit in den Bergwerken zunimmt, wo Kinder noch im größeren Ausmaß körperlicher und sexueller Gewalt ausgesetzt sind. Die meisten dieser Minen sind privat errichtet worden und setzen Kinder einer großen Gefahr aus, etwa einer Quecksilbervergiftung. Darüber hinaus werden die Standorte oft von bewaffneten Rebellengruppen betrieben oder kontrolliert und dienen so gleichzeitig zur Rekrutierung von Kindersoldaten.

Die Zwangsverheiratung von Mädchen ist eine verbreitete Strategie vieler Familien, sich eine wirtschaftliche Entlastung zu verschaffen. Sie geht allerdings mit dem Bruch der UN-Kinderrechtskonvention einher und hängt mit kulturellen Vorstellungen zusammen: Eine frühe Ehe wird gefördert, weil eine außereheliche Schwangerschaft als beschämend und unehrenhaft angesehen wird. Es kommt selten vor, dass staatliche Behörden oder Sozialarbeiter über Vergewaltigungen und andere sexuelle Gewalt gegen Mädchen informiert werden. Weil es kein funktionierendes Justizsystem gibt, ist die direkte Vereinbarung zwischen Täter und Opfer (und ihren Familien) oft die bevorzugte Methode, um einen entsprechenden Ausgleich zu schaffen. Es kann daher vorkommen, dass ein Vergewaltigungsopfer dadurch gezwungen wird, einen Täter zu heiraten.

„Die Ergebnisse zeigen einen Zusammenhang zwischen mangelhaftem Schulbesuch und steigenden Gefahren für Kinder auf.“

Erkenntnisse aus dem „Joining Forces“-Bericht in der Zentralafrikanischen Republik

Empfehlungen für die Zentralafrikanische Republik

Die herausfordernde Situation in der Zentralafrikanischen Republik ist geprägt von Gewalt, Armut, wirtschaftlicher Unsicherheit und schwachem staatlichen Handeln. Die daraus resultierende Situation ist komplex. Vor allem einer Institution fällt daher eine gewichtige Rolle zu: der Schule. Kindern durch Bildungsangebote zu erreichen, vorhandene Bildungsstrukturen zu stärken und auszuweiten, kann eine wirksame Möglichkeit darstellen, sich den anderen drängenden Kinderschutzrisiken zuzuwenden, also den Themen Kinderehe und Teenagerschwangerschaften, von denen überwiegend Mädchen betroffen sind, sowie Kinderarbeit, von der überwiegend Jungen betroffen sind.

Die Ergebnisse dieses Berichts zeigen eindeutig einen Zusammenhang zwischen mangelndem Schulbesuch und steigenden Gefahren für Mädchen und Jungen auf. Auf diese Weise verstärken sich die negativen Auswirkungen gegenseitig. So zeigt sich etwa, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen der wachsenden Akzeptanz und damit der Normalisierung von Kinderehen und der negativen Wahrnehmung von Bildung und ihrem Nutzen auch und gerade für Mädchen und Frauen gibt. Die Folge: ein hohes Risiko von Kinderehen und Teenagerschwangerschaften. Bei Jungen ist ein ähnlicher Prozess zu beobachten: Hier führt etwa die zunehmende Kinderarbeit in Minen dazu, dass auch bei ihnen die negative Wahrnehmung eines „Nutzens“ und der Notwendigkeit von Bildung verstärkt wird.

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