In den ländlichen Gemeinden Guatemalas werden viele politische Entscheidungen im kleinen Rahmen von Gemeindeversammlungen getroffen. Diese Entscheidungen beeinflussen das Leben aller Bewohner:innen, doch nicht alle können gleichberechtigt an ihnen mitwirken. Gerade Mädchen und junge Frauen werden häufig ausgeschlossen und trauen sich nicht, ihre Meinung zu äußern. Die vier jungen Aktivistinnen Vidalía (19), Heydi (18), Yoselin (14) und Lesly (19) wollen das nicht länger hinnehmen.
Die 19-jährige Vidalía berichtet, dass Männer in diesem Kontext als wichtiger angesehen werden – die Frauen werden ins Private gedrängt: Sie sollen sich auf den Haushalt und die Kindererziehung konzentrieren. Auch wenn die Gemeinden Frauen und jungen Menschen theoretisch die Möglichkeit geben, sich zu beteiligen, ist nicht immer klar, wie sie sich einbringen können. Selbst der Weg zu den Versammlungen kann schwierig sein, wenn sie erst spät in der Nacht beendet werden, wenn es keine Verkehrsmittel gibt oder der Weg nicht sicher ist.
Für Yoselin, die mit 14 Jahren das jüngste Mitglied der Gruppe ist, ist das unhaltbar – sie fordert, dass bei allen Gemeindeversammlungen Jugendliche und Frauen zu Wort kommen. „Ich weiß, dass meine Meinung genauso wichtig ist wie die eines Mannes“, sagt sie.
In diesem Zusammenhang verweist die Gruppe auf den sogenannten ‚Machismo‘, die Vorstellung in ihrer Kultur, dass Männer und Jungen respektiert werden müssen und das Recht haben, Frauen und Mädchen zu dominieren. Vidalía ist der Ansicht, dass dieses Konzept für Mädchen gefährlich ist, weil es eine Abhängigkeit von Männern schafft und sie klein hält. „Die Vorstellung, dass Frauen hinter den Männern zurückstehen müssen, schränkt ihre Möglichkeiten ein“, erklärt sie.
„Die Vorstellung, dass Frauen hinter den Männern zurückstehen müssen, schränkt ihre Möglichkeiten ein.“
Um die politische Beteiligung von jungen Menschen und insbesondere jungen Frauen zu fördern, hat Plan International in Guatemala eine Bewegung gegründet, die Mädchen und jungen Frauen einen sicheren Raum gibt, in dem sie über die sie betreffenden Themen sprechen können. Sie soll Mädchen ermutigen, sich gegen geschlechtsspezifische Diskriminierung zu wehren, und ihnen die Fähigkeiten vermitteln, die sie brauchen, um sich für Mädchenrechte stark zu machen.
Die Mädchen sprechen oft über die Hindernisse, mit denen sie konfrontiert sind, und finden durch die Gruppenarbeit ihre Stimme. Dabei fällt auf, dass Mädchen in ländlichen und städtischen Gemeinden mit unterschiedlichen Herausforderungen konfrontiert sind: In Städten sind Schulabbruch und Mangel an beruflichen Perspektiven die größten Probleme, während auf dem Land der fehlende Zugang zu Dienstleistungen oder Informationen im Zusammenhang mit sexueller und reproduktiver Gesundheit und Rechten (SRGR) eine große Rolle spielt.
Die Bewegung hat eine große Reichweite. Dieses Jahr kamen Mädchen aus dem ganzen Land zusammen, um über die Ursachen ihrer Probleme nachzudenken, und um Maßnahmen zu deren Vermeidung und Verringerung zu erarbeiten.
Die 19-jährige Lesly berichtet, dass in diesem Rahmen mehr als 200 Mädchen über sexuelle und reproduktive Gesundheit unterrichtet wurden – ein großer Erfolg, da das Thema sonst häufig mit Scham besetzt ist und Mädchen selten die Gelegenheit haben, offen und frei darüber zu sprechen. Für sie selbst haben diese Gespräche viel bewirkt: „Ich habe verstanden, dass ich das Recht habe, über mein eigenes Leben zu entscheiden, auch ob und wann ich heiraten und Kinder haben möchte.“
„Ich habe verstanden, dass ich das Recht habe, über mein eigenes Leben zu entscheiden, ob und wann ich heiraten und Kinder haben möchte.“
Auch in größeren politischen Foren konnte Lesly bereits die Belange von Mädchen und jungen Frauen platzieren: „Ich dachte früher, dass es nicht möglich sei, an den Orten, an denen Entscheidungen getroffen werden, teilzunehmen oder mit hochrangigen Behörden zu sprechen“, erzählt die junge Frau. „Aber vor der Pandemie bot mir die Mädchenbewegung die Möglichkeit, im Kongress der Republik Guatemala zu sprechen. Letztes Jahr besuchte der Vizepräsident der Republik unser Departement, und wir konnten die Probleme der Mädchen und unsere Lösungsvorschläge vorstellen.“
Die Mädchenbewegung hat das Selbstvertrauen der Teilnehmerinnen gestärkt und gibt ihnen Hoffnung auf eine bessere Zukunft für Mädchen und junge Frauen in Guatemala. „Früher fühlte ich mich minderwertig, aber die Bewegung hat mein Bild von mir selbst verbessert“, erzählt Heydi. „Ich glaube, das hat mein Leben wirklich verändert. Auch in der Gemeinde habe ich großartige Ergebnisse gesehen. Es gibt jetzt Frauen, die an Gemeindeversammlungen teilnehmen, was früher nicht der Fall war - sie sorgen für ein Echo und verändern auch die Einstellung der Männer“, schließt sie.